Philosophen mit den Begrenzungen der klassischen Ästhetik einleiten können, wenn Lyotard nicht den Verlockungen der Betreiber der Unternehmen der digitalen Medien erlegen wäre, die wiederum ausschließlich das Sehen und das Hören als die Sinne des digitalen Zeitalters favorisieren und alle Geräte entsprechend ausgelegt haben. Eine Geschäftsidee ist eben immer nur auf der Basis von Gewohnheiten erfolgreich. Demgegenüber hatten Künstler beginnend mit dem Futurismus und später mit Fluxus und Konzeptkunst eine Kunstauf- fassung des Immateriellen experimentell und thesenhaft entwickelt und sich gegen den bürgerlichen Kunstkanon gewendet. Wie Jan Drobnick zeigt, gibt es zahlreiche Anzeichen dafür, dass die „olfaktorische Sensibilität im zeitgenössischen Denken wächst, denn schon zahlreiche Künstler haben unwiderstehliche Beispiele der luftigen Möglichkeiten des Seins abgelie- fert.“9 Er selbst hat in seinen Schriften Beispiele aus der Kunst der letzten drei Jahrzehnte zusammengetragen.10 Heute machen subtil mit Geruch arbeitende Installationen, wie „Muerte sin fin“ von Teresa Margolles11  von sich reden.

IV. Akzeptanz des Flüchtigen
Stichpunkte für eine Neuaufstellung der Sinne

Obwohl eine umfassende Erörterung dieses Themas hier nicht möglich ist, soll doch eine Systematik des Geruchs, wie er in der Installation von Jarosch wirkt, wenigstens kurz angerissen werden; denn mit Installationen wie dieser betreten wir in jüngster Zeit häufiger ein Feld, wo Geruch bewusst eingesetzt wird. Noch vor 15 Jahren verkniff sich der damals führende Installationskünstler Ilya Kabakow Überlegungen zu diesem Thema und erweckte noch in seinem Buch Über die „totale“ Installation“ den Eindruck, als wären seine Installationen geruchlos.12  Man könnte allerdings auch annehmen, dass sie so gut gemacht sind, dass er die ästhetischen Vorgaben der gastgebenden Institutionen einhält und Gerüche durch den Raum, sein Licht und seine Farben suggeriert.

Man kann sagen, dass die Sinnesinformationen die unterschiedliche Subjektivität verschieden konditionierter Individuen auf unterschiedlichen Kanälen erreichen und unterschiedliche kybernetische Strukturen der motorischen, sensorischen und intellektuellen 

Verarbeitungsmechanismen anregen, die ich hier einmal grob nach ihrer An- und Abschaltbarkeit unterscheiden und in die Überlegungen einbeziehen möchte.

1.    Auswahl- und Sammelsinne

Sehen lässt sich an- und ausschalten durch geöffnete oder geschlossene Augenlider oder indem man den Kopf abwendet: Es ist ein Auswahlsinn

Geschmack ergänzt Seh- und Geruchssinn durch zusätzliche sensorischen Prüfung z.B. von Nahrungsmitteln: Es ist ebenfalls ein Auswahlsinn. Ein Objekt muss evtl. unter Zuhilfenahme der Hände in den Mund genommen werden, bzw. kann sich der Körper in die Richtung der betreffenden Objekte in Bewegung setzen. Hier wird der Tastsinn - ebenfalls ein Auswahlsinn - einbezogen.

Gehör ist räumlich universell, lässt sich jedoch verstopfen. Sammelt verstreute Informationen

Geruch ist mit der Atmung verbunden, Gerüche erreichen uns also auch im Schlaf (warnende Funktion z.B. bei Feuer.) Sammelt verstreute Informationen und ermüdet schnell. Der Geruch kann mit dem Geschmack gekoppelt werden, lässt sich jedoch teilweise durch Schließen der Nase und Atmung durch den Mund ausschalten.

2. Folgerungen

Geschmack und Geruch ergänzen nach diesem Modell jeweils den Sehsinn bzw. das Gehör und erweitern die Möglichkeiten der Sinneseindrücke, die gegebenen Bedingungen zu überprüfen. Im Falle der Installation von Jarosch verstärkt der Geruch das Bild der durch Wasser und Glas isolierten Lilie. Die Anwesenheit des Geruchs lenkt den Blick auf den wassergefüllten Glaszylinder, der optische Phänomene wie die Vergrößerung des Pflanzenfragments
9 Jim Drobnick, Trafficking in Air, in: Performances Research, siehe Anm. 5, p. 29-43, p. 42.
10 ebd. Literaturliste, p. 43
11 Die Ausstellung im MMK in Frankfurt am Main zeigte eine Installation, die mittels Seifenblasen einen Todeshauch in den Raum brachte. Die Seifenblasenmaschine wurde nämlich mit dem Wasser betrieben, das beim Waschen von anonymen Toten in einer Leichenhalle in Mexico D.F verwendet worden war.

12 Ostfildern 1995. Selbst wenn er auf seine Installation „Toilette“, Kassel 1992 zu sprechen kommt, ist von „Gegenstand“, „Aura“ und „Eigenschaft“ die Rede ebd., S. 69. Im Katalog der documenta IX schreibt er, es sei eine „Metapher“ (Kat. d IX, 1992, Bd. 2, S. 249). Auch der Müllhaufen in der Installation „Roter Wagon“ 1991 Düsseldorf und 1994 MAK, Wien bleibt streng visuell. 1995, S. 102.

Die 04. Ausstellung im Jahresprojekt  Autos fahren keine Treppen  des EINSTELLUNGSRAUM e.V.                                                                                                                               next
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