Über das Sehen hinaus gemacht
Johannes Lothar Schröder
Über die Installation Hohe Schule von Christian Jarosch

I. Dressur & Kontrollverlust

Dem Titel der Ausstellung und der Darstellung auf der Postkarte von Christian Jarosch folgend, begann meine Recherche zum Eröffnungs- vortrag auf dem Gebiet der Dressur, weshalb ich das Themenheft von Performance Research über Tiere konsultierte. Im Vorwort des Herausgebers heißt es: „Tiere sind provokativ und eine begrüßenswerte Relativierung des Durchdachten. Sie verstärken moralische Zusammenhänge und fördern das Hinterfragen. Abseits menschlicher Normen erhöht ihre Unberechenbarkeit die Spannung wogegen ihre Anwesenheit entspannt.“ Allan Read stellt hier die Ambivalenz heraus, die jede Arbeit mit Tieren zu einer Herausforderung macht. Ihre Unmittelbarkeit vergrößert die Distanz zum Vorbestimmten und Planbaren, worin ein Paradigma deutlich wird, das auch in der Kunst einer Rolle spielt, wenn nämlich äußere Umstände und der Widerstand von Material einen Plan so weit verändern, dass das anfängliche Konzept modifiziert oder über den Haufen geworfen werden muss. Es geht um das Unerwartete, mithin den Verlust der Kontrolle als Bedingungen für ein Werk.

Verschiebung zwischen Konzept und Wirklichkeit ziehen sich auch ohne Tiere und Dressur durch die Installation von Jarosch, so dass das gedankliche Resultat einer ersten Annäherung an die Installation weiterhin greifen kann. Nehmen wir den Raum, so scheint es, dass allem Anschein nach eine Blume, eine Lilie mit ihrem betörenden Duft, die Hauptrolle spielt. Es geht um die Sinne und hier ist der Geruchssinn angesprochen, der im Gegensatz zum Gesichtssinn ein spontan arbeitender Sinn ist, der sehr leicht ermüdet, weshalb wir Gerüche als flüchtig empfinden. Obwohl sie wie hier den Raum erfüllen, nehmen wir einen Duft nicht als eine konstante Erfahrung wahr, sondern mal stärker, mal schwächer oder überhaupt nicht. Gerüche wirken zudem auch unterschwellig, weshalb sie außerordentlich
nachhaltig fortwirken können; so dass die Widerholung von Geruchsepiso- den häufig spontane Erinnerungen nach sich ziehen, die auch komplexe Zusammenhänge in das Gedächtnis zurückrufen. Das aber, so scheint es, ist nicht oder nur schwer steuerbar; denn Geruchsereignisse lassen sich anscheinend nicht ad hoc herstellen oder mit Sicherheit abrufen. D.h. sie lassen sich nicht willkürlich ein- oder ausschalten. Darin - so könnte man vermuten - gleichen sie als Bestandteil eines Werks Tieren. Man kann sie dressieren und somit durch Übung eine hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung herbeiführen, ohne jedoch eine 100%-ige Sicherheit zu erlangen. Sie bleiben unsichere Kantonisten. Diesbezüglich lässt sich auch der von Jarosch zur Ausstellung ausgewählte Text lesen. Darin geht es um den charakterlichen Unterschied zwischen einem Affen und einem Hund bei der Dressur. Wird letzterem Gehorsam d.h. striktes Befolgen der erlernten Regeln nachgesagt, so neigt der Affe zur Improvisation und be- greift das antrainierte Verhalten eher als Anregung, das mit eigenen Ideen angereichert werden kann. Hieran bemerkt man, warum der Affe in der Renaissance als ein Emblem der Bildenden Künstler galt. Er ist zur Nachahmung befähigt, doch geht er über die bloße Imitation hinaus, indem er mit dem Repertoire spielt. Und das ist die Eigenschaft, die uns heute dazu bringt, von Kreativität zu sprechen, denn sie ist nicht als bloße Nachahmung zu verstehen.

II. Gehorchen

Nun ist es so, dass Jarosch seinen Ausstellungsbesuchern einen Versuchsaufbau anbietet, auf den man eingehen muss, um seinem Anliegen auf die Spur zu kommen. Wie Sie sehen, liegen hier drei Matten bereit, zu denen jeweils ein mit Köpfhörern ausgestatteter CD-Player gehört. Als Besucher der Ausstellung sollte man sich auf die von dieser Anordnung ableitbare Aufforderung einlassen und sich hinlegen oder zumindest die Kopfhörer aufsetzen und die CD abspielen. Mit Musik unterlegt meldet sich eine beruhigend klingende Stimme und fordert dazu auf, sich auf eine Reise in das Körperinnere zu begeben und die Gerüche bestimmter Organe zu erkunden. Zuerst geht die Reise über die Luftröhre,
1 Allan Read: Editorial, in: Performance Research (On Animals), London Vol. 5, No. 2/2000 
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Die 04. Ausstellung im Jahresprojekt  Autos fahren keine Treppen  des EINSTELLUNGSRAUM e.V.       
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