III. Luft als Medium der bildenden Kunst

Die drei Matten mit CD-Playern sind nur eine Station der gesamten Installation in diesem Raum, dessen zweite Hälfe von einem Glaszylinder vor einem türkisen Raumteiler eingenommen wird. Der Glaszylinder ist über einer einzelnen rosafarbenen Lilie bis zum oberen Rand mit Wasser gefüllt. Die intensiv duftenden ätherischen Öle der Blüte steigen zum Wasserspiegel auf und erfüllen den Raum mit dem im Wasserbad etwas abgemilderten starken Duft der Lilie. Hier vermittelt sich Etwas, das dem unmittelbaren Zugriff entzogen ist, indirekt durch die Eigenschaft von ätherischen Ölen, die an die Wasseroberfläche steigen, wo sie verdampfen und das Aroma im Raum verteilen. So gelangt es an das Riechorgan wie die visuelle Information über die Lilie durch das Licht, das Wasser und den wie ein vertikales Vergrößerungsglas wirkende dicke Glaszylinder.

Mit der Frage der vermittelnden Funktion des Wassers, der Öle und der Luft konkretisieren sich wesentliche Merkmale einer Kunst, die seit mehr als 100 Jahren den visuell erfassbaren Raum als Basis der Anschauung hinter sich gelassen hat, um unter die Haut bzw. unter die Oberflächen zu gehen, womit sich einerseits die Sujets der Kunst in Richtung Unbe- kanntes erweitert haben und zusätzlich das Auge als der dominante Sinn der künstlerischen Erforschung der Welt und ihrer Phänomene relativiert wird, weil auch die anderen Sinne miteinbezogen werden, die auf indirek- tem Wege Informationen über verborgene Schichten der Wirklichkeit erlangen können. So kann das Ohr durch Geräuschveränderungen, die z.B. beim Abklopfen eines Körpers erzeugt werden, Informationen über die innere Beschaffenheit mancher Organe wahrnehmen, genau wie Geruchs- und Geschmackssinn Informationen über die Chemie eines Gegenstandes

oder eines Lebewesens ermitteln können. Diese sinnlichen Informationen sprengen das Arsenal der Mittel, an denen Bildende Künstler traditionell ausgebildet werden.
Das ist schon lange bekannt - die Futuristen propagierten das2,  und die Idee des Gesamtkunstwerks3  hat viele Künstler aller Gattungen beflügelt, Formen des Synästhetischen zu erfinden und zu erproben. Dennoch werden weiterhin die meisten der mit mathematischen Parametern erhobenen Forschungsergebnisse, die als Datensätze von
Rechnern aufgezeichnet und ausgewertet werden für das Publikum auf eine visuelle Ebenen übertragen, weil der Sehsinn in der bürgerlichen Ästhetik als der dem Intellekt am nächsten stehende Sinn aufgefasst wird. So wird selbst in neueren Ästhetiken das Olfaktorische4 übergangen. In der Performanceforschung setzt das Interesse für diese Fragen dagegen endlich ein5.

In der Geschichte der Ästhetik war die Bewertung der Sinnlichkeit vor allen Dingen durch die jeweilige Wertschätzung und Hierarchie der Künste bestimmt. Hegel bezeichnete Gesicht und Gehör als „theoretische Sinne“ und behauptete, dass „Geruch, Geschmack und Gefühl vom Kunstgenuss ausgeschlossen bleiben.“6  Am Geruch störte ihn die „materielle Verflüch- tigung“ durch die Luft und beim Geschmack die materielle Auflösung der Gegenstände. Diese Furcht vor der Auflösung scheint ein wesentliches Merkmal der bürgerlichen Kultur zu sein. Wie man bei Norbert Elias nachlesen kann, bezeugen Gerüche die Zeiten bürgerlicher Unterlegenheit im Feudalismus. Sie erinnern an schamhaft empfundene Momente der Zurücksetzung und werden folglich verdrängt.7  Das ändert sich erst in den 1980er Jahren als Jean-François Lyotard 'die Immateriellen''8  akzeptiert. Dieses hätte einen Bruch der akademischen

2 Giacomo Balla und Fortunato Depero propagierten 1915: „Dem Unsichtbaren werden wir Fleisch und Knochen verleihen, dem Ungreifbaren, Unwägbaren, Nicht-Wahrnehmbaren. Wir werden abstrakte Equivaälente aller Formen und Elemente des Universums finden ...“ Die Futuristische Neukonstruktion des Universums, in: Wir setzen den Betrachter mitten ins Bild, Düsseldorf 1974, o.S.
3 Harald Szeemann: Der Hang zum Gesamtkunstwerk, Aarau & Frankfurt am Main 1983. Hervorzuheben ist, dass Szeemann die Ausstellung gegen das „Schreckgespenst der Umsetzung der Gesamtkunstwerksvorstellung“ und somit gegen den „Totalanspruch des kreativen Einzelnen“ gerichtet sieht. ders.: „Vorbereitungen“, in: ebd., S. 16 – 19, S. 16.
 
 

4 Julia Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003
5 Performance Research (On Smell), Vol. 8, No. 3, Sept. 2003; Sally Banes: Olfactory Performances, in: Dies. & André Lepecki (Ed.): The Senses in Performance, New York 2007, p. 29- 37
6 Vorlesungen zur Ästhetik I, Werke in 20 Bänden, Bd. 13, Frankfurt/M. 1970, S. 61
7"Jedes zweite Wort, das der junge Thibauld sagt, ist im Sinne der höfischen Gesellschaft ungeschickt, plump und riecht, wie es heißt "aus vollem Munde nach dem Bourgeois"." Über den Prozess der Zivilisation, Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1, Bern, 1969, S. 146
8 Les Immateriaux, Ausstellung und Katalog, Paris 1985; dt.: Lyotard u.a., Immaterialität und Postmoderne,
Die 04. Ausstell. im Jahresprojekt  Autos fahren keine Treppen 
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