Ein alter Hut,
ein ganz alter Hut, noch von ihren Urgroßvätern. Immer
sind es die Großväter, nicht die Großmütter, die die
Geschichten erzählen, wie die von Adams Rippe, aus der
Gott Eva formte. Und das alles vielleicht nur aus
Angst, vor dem Zufall, wie Kinder, die sich im Dunkeln
fürchten, vor einem Monster, das sie sich ausdenken,
und dann ist es plötzlich wirklich da; aber nein, wir
sind keine Kinder, und das ist das Problem, das wir
haben, seit der Aufklärung, spätestens, denn wir
wissen, dass das Monster, das wir uns ausgedacht
haben, und das wir heute nicht mehr ‚Geist‘ nennen,
sondern etwa ‚Kultur, eben nur ausgedacht ist, und
nicht „wirklich“, ein metaphysisches Fliegengewicht.
Stanislaw Lem beschreibt es so:
„… denn die Kultur ist eine Erfindung, die auf ihre Weise ihre eigenen Erfinder prägt, die davon aber nichts wissen, doch wenn sie es erfahren, verliert diese Erfindung ihre absolute Macht über sie, und sie blicken in eine gähnende Leere, und gerade dieser Widerspruch ist die Grundlage des menschlichen Wesens….“ 1Und weiter, hier spricht bei Lem ein Computer, der GOLEM, der zwar von Menschen geschaffen ist, aber diese in seiner Vernunft übersteigt, zu Wissenschaftlern wie Wissenschaftlerinnen: „Ihr erkanntet …, daß jede Kultur, da sie nicht die einzige ist, etwas völlig Beliebiges hat, und seither versucht ihr, etwas zu entdecken, was anders ist als eure bisherige Schicksalsbahn, die sich blindlings verwirklichte, aus Serien von Zufällen bestand und durch die Lotterie der Geschichte bestimmt war – aber natürlich gibt es nichts dergleichen…“ 2Aus der Urangst vor der metaphysischen Leere also erfanden bereits die Urgroßväter, wie Platon, die noch nichts von dem Zufall der Evolution wissen konnten, aber diesen bereits fürchteten, die ewigen Formen, die Ideen, und als Trost für die Menschen eine unsterb- liche Seele, als winziges Licht im metaphysischen Dunkel, ein Abbild von dem Heiligen Vater, wie Augustin meint, der Kirchenvater; ein ewiges Flämmchen wie ein Versprechen, dass am Ende nicht alles vergeblich sein möge, auch wenn das Fleisch vergänglich ist; und das alles nur aus Angst, vor der Vergänglichkeit. Die Großmütter würden Ihnen vielleicht eine andere Geschichte erzählen, die sie in ihrer Handtasche mit sich herumtragen, neben Ersatzbirnen, Schrauben und Schokolade, was |
nicht alles so in eine Handtasche
hineinpasst… Die Geschichte der Großmutter lautet: Am
Anfang war die Materie, nicht das Wort, – die Idee, die
Form, – am Anfang steht das Material, und das heißt bei
Franziska Windolf, Ton und Gips, als Grundlage von
Flussbetten. Bei beidem handelt es sich um Material, das „natürlich vorkommt“. Der Ton ist schon da, als Material, vor der Künstlerin, so drehen wir den Spieß einfach um, die Hierarchie, von Geist und Materie, wenn wir sie nicht gleich ganz abschaffen: Wer braucht ein metaphysisches Licht im metaphysischen Dunkel, wenn doch die Sonne scheint, unmissverständlich und das seit Millionen von Jahren. Öffnen Sie die Augen, meine Herren (und Damen), dann wird es plötzlich hell. Vielleicht geht Ihnen dann ein Licht auf. Die Verwendung von Ton als „Rohstoff für Töpferwaren und Keramik“ ist bis in „das Jungpaläolithikum hinein belegt“. Zur menschlichen Zivilisation scheint es zu gehören, Gefäße zum Aufbewahren, besonders von Lebensmitteln, herzustellen, aus Ton. Ohne die Möglichkeit des Aufbewahrens von Nahrungsmitteln gäbe es überhaupt keine Zivilisation. Ebenso wird Gips seit der Jungsteinzeit als Baumaterial verwendet, etwa bei der Sphinx (2700-2600 v. Chr.) in Ägypten, aber auch in Europa, z.B. für das Verfugen von Mauerwerk ab dem 11. Jahrhundert. So steht es geschrieben in der neuen Enzyklopädie des Weltwissens, Wikipedia sei Dank! Das Bauwerk, das Haus, als Behältnis seiner Bewohner. Keine Kultur ohne menschliche Behausung. Das Material trägt eine Bedeutung, die eine kulturelle ist. Das Material ist Träger einer Bedeutung. Diese ist historisch gewachsen und das heißt eben auch: nach den Gesetzen des Zufalls, der Kontingenz, denn es hätte auch alles ganz anders kommen können. Die Geschichte der Zivilisation hätte auch ganz anders verlaufen können. Oder besser gesagt, die Geschichte der menschlichen Zivilisation kann auch ganz anders erzählt werden, endlich, wie die französische Schriftstellerin Ursula Le Guin meint, und zwar nicht mehr als Geschichte von Helden, „von Stöcken und Speeren und Schwertern, den Dingen, mit denen man hauen, stechen und stoßen kann, mit langen, harten Gegenständen“, und das heißt, als eine Geschichte mit einem eindeutig phallischen Unterton. Vielmehr ist es an der Zeit, so Le Guin weiter, „von den Gegenständen (zu erzählen), „in die man Dinge hineinlegen kann, die Behälter (sind) für das, was enthalten ist. Das ist eine neue Geschichte.“3 |
1 Stanislaw
Lem, „Also sprach GOLEM“, S. 36-37 2 Stanislaw Lem, „Also sprach GOLEM“, S. 36-37. |
3 „I am not
telling that story. We’ve heard it, we’ve heard all
about all the sticks and spears and swords, the things
to bash and poke and hit with, the long, hard thing,
but we have not heard about the thing to put things
in, the container for the thing contained. That is a
new story. That is news.“ Ursula K. Le Guin: „The
Carrier Bag Theory of Fiction“, S. 151. |
Die
06. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln.
Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM
e.V. |
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Präsentation |
Vernisage |
Gefördert
von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und
Hansestadt Hamburg und Bezirksamt Wandsbek |
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