Franziska Windolf – Installation („Mit den Händen denken“)
Einführungstext der Ausstellung im EINSTELLUNGSRAUM e.V., 14.08.2019 von Dr. Sonja Schierbaum


Meine sehr verehrten Damen und Herren,



im Prinzip ist alles möglich, in der Kunst, wie im täglichen Leben, obwohl natürlich längst nicht alles möglich ist, vorausgesetzt, man will sich nicht den Kopf stoßen, hart, an der physikalischen Realität etwa von Glastüren, die sich einem in den Weg stellen, weil man sie nicht erwartet hat, obwohl man sie doch erwarten sollte, und vorausgesetzt, man will nicht vor den Kopf gestoßen werden, in der sozialen Realität, etwa bei einer Rede, die man zu halten hat, vielleicht hat man die falsche Frage gestellt, auf die als Antwort nur folgt betretenes Schweigen. Und dann findet man nicht wieder hinaus, zur Tür, an der man sich gerade noch so hart gestoßen hat.

Wie also anfangen? Mit der Kunst. Wie fängt man es an, wenn man Kunst machen will? Ist das die Frage, die ich besser nicht hätte stellen sollen? Sie schweigen. Vielleicht also Ja. Zumindest nicht in dieser Form, denn sie ist zu allgemein. Dann also noch einmal konkreter: Wie fängt Franziska Windolf es an, mit der Kunst, hier im EINSTELLUNGS- RAUM? Das klingt zunächst wie die Frage nach einer Methode, was wörtlich genommen nichts anderes heißt als ‚der Weg zu etwas hin‘. Wohin wollen Sie denn gehen? Ich meine, später, denn im Moment können Sie natürlich nicht gehen, wenn Sie sich nicht den Kopf stoßen wollen. Sie können zwar schweigen, betreten oder mit der Höflichkeit des aufmerksamen Zuhörers, letzteres wird sogar von Ihnen erwartet, aber Sie können nicht gehen, ohne die Regeln zu verletzen, die uns hier zusammenhalten, für den Moment. Das Gewicht dieser Form müssen Sie tragen, so wie Sie das Gewicht Ihres Körpers tragen müssen, wenn Sie keinen Sitzplatz gefunden haben, hier im einstellungsraum, Ihre eigene Form und Materie müssen Sie selber tragen, das nimmt Ihnen niemand ab, vielleicht müssen Sie sogar die Kunst mittragen,
So wie sich Material, Farbe und Form gegenseitig tragen müssen, sollen Sie das mittragen, was Franziska Windolf vollendet hat an und zusammen mit dem Material, der Farbe und der Form: So werden Sie noch zum Bild-Träger, wer weiß. Das hätten Sie sich so wohl nicht träumen lassen. Obwohl es möglich war, von Anfang an.
Franziska Windolf nimmt den Zufall in Anspruch, als Methode, in Form von Prozessen, die sie selbst auslöst, die aber auch anders hätten verlaufen können, ein Einfall, der den Zufall lenkt, in einem bestimmten Rahmen, so wie ein Fluss auch anders hätte verlaufen können, vorausgesetzt, er hätte ein anderes Bett gehabt. Das hätte ihm die Künstlerin formen können, wenn sie gewollt hätte, aus Ton, den sie verwendet als Bett für ein anderes Material, nämlich den Gips, den sie hineingießt, eine Form in der anderen. 

Denn auch ihr Weg, so könnte man sagen, entsteht beim Gehen. So wie der Lauf eines Flusses beim Fließen entsteht. Der Zufall als Methode, aber nicht für die, die Angst haben, sich den Kopf zu stoßen an der Materie, mit der Materie zusammenzustoßen, die sich fürchten vor dem Kampf mit der Materie… aber halt, das ist falsch, da entsteht ein völlig falsches Bild, von der Materie, von dem Bild der Materie, das den Arbeiten von Franziska Windolf zugrunde liegt: Die Materie, das Material, ist kein Gegner, den es zu besiegen gibt, in einem Kampf. Wer Kunst macht, wie Franziska, führt keinen Krieg, um die Materie zu bezwingen, das Material in eine Form zu zwingen, mit Gewalt, die Form geht dem Material nicht voraus, als Idee, von diesem platonischen Modell weiß die Künstlerin nichts, so wie die Natur, die nach einem Prinzip vorgeht, das wir ‚Evolution‘ nennen.

Sie erinnern sich doch noch an Platon, bei dem die Formen, die Ideen, von Glastüren wie von Flussbetten, in einem Ideenhimmel existieren, jenseits von physischen Glastüren und Flussbetten, die immer nur ein – mehr oder weniger –schwaches Abbild des Ideals einer Glastür und eines Flussbettes sein können, schon aus metaphysischen Gründen ist da leider nicht mehr drin. Metaphysisch gesehen, also in Bezug auf den Grad der Realität, ja, nach Platon gibt es ein mehr und weniger an Realität, an „Sein“, ist die Idee von einem Gegenstand immer „mehr“ und auch immer mehr „wert“ als ein tatsächlicher, physischer Gegenstand, der irgendwo im Weg steht und an dem Sie sich wieder einmal stoßen. Genauso ist es dann nach Platon auch in der Kunst: Die Idee, die Form, ist immer „mehr“, denn sie ist das, was eigentlich von Wert ist, so viel Beifall können Sie gar nicht spenden, mit Ihren Händen aus Fleisch und Blut, und es nützt auch nichts, wenn Sie noch etwas drauflegen, so viel Kleingeld haben Sie gar nicht bei sich; damit können Sie vielleicht die Rednerin entlohnen, aber den Wert einer Idee werden Sie damit nicht aufwiegen können, auf keiner Waage, aus Holz oder Metall. Kein Material, dass das Gewicht einer Idee wiegen könnte. Die Idee ist nämlich gar nicht von hier. Darum gilt für sie auch eine andere Währung, die Geist heißt, im Gegensatz zur  Materie. Das ist eine alte Geschichte, die noch immer erzählt wird, besonders im Abendland, sie heißt: Der Dualismus von dem ewigen Geist und der vergänglichen Materie.

Die 06. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernisage
Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirksamt Wandsbek
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