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Der Ton als
Behälter der Form und zuletzt, dank der Arbeit und
des Umgangs der Künstlerin an und mit ihrem
Material, als Träger der Form, einer von vielen, wie
die möglichen Formen des Flussbettes.
Die Aufgabe, die sich Franziska also selbst stellt, wenn sie anfängt, mit der Kunst, ist vielleicht diese: Die Eigendynamik des Materials zu erkunden, und zwar zusammen mit dem Material, nicht gegen es oder über dessen Kopf hinweg, die Eigenschaft zu erproben, etwa der Formbarkeit, wie in einem Experiment, in dem man nach den Möglichkeiten fragt, den realen, den physischen, nicht den metaphysischen, als taste man die Realität nach den Möglichkeiten ab, die sie enthält, mit den Händen fragt man das Material danach, was möglich ist, Franziska denkt hier, denke ich, mit ihren Händen, zusammen mit dem Material, erprobt sie die möglichen Formen, nach den Regeln des Materials. Die Eigenschaften des Materials, seine Formbarkeit, Stabilität, geben die Regeln vor, das heißt, sie geben vor, was möglich ist, wenn es denn halten soll, wenn es das eigene Gewicht halten soll in seiner eigenen Form, die ihm nicht vorausgeht, organische Formen, zum Beispiel. Wie ist das eigentlich, das Gewicht einer Form zu tragen, in aller Schwere? Aber nicht jedes Gewicht ist auch eine Last, vor allem nicht, wenn es sich den Betrachtenden darbietet als Möglichkeit, Formen zu begegnen im Raum. Das Material teilt sich auf in viele Formen, es kommt nicht allein, es ist viele, doch wie kommt dann eigentlich so etwas wie eine Einheit zustande, eine „Einheit des Mannigfaltigen“, so würde Leibniz es wohl sagen und denkt dabei an die Vollkommenheit. Denn bei Leibniz hat alles noch einen Grund, warum es so ist und nicht anders. Aber davon können wir heute, wenn wir die neue Geschichte erzählen wollen, wohl nicht mehr ausgehen. Für Franziska Windolf steckt in der Vollkommenheit vor allem die Fülle, das Volle, die Überfülle an Formen, die sich verzahnen wollen mit den vorhandenen Strukturen aus Stein. Durch ihre Arbeiten werden die geäderten Steinplatten, auf denen die Besucherinnen sonst Platz nehmen, zu Podesten, zu Trägern der Formen aus Gips; der gesamte EINSTELLUNGSRAUM gerät dadurch zu einem Bett für andere Formen, aus Gips und Ton, die die Künstlerin vor Ort erstellt hat. Den Gips hat sie angerührt und Abdrücke erstellt von der Oberfläche der Fliesen, (zum ersten Mal wendet sie dieses Verfahren an). |
Der Weg führt sie dabei aus der
Horizontale in die Vertikale, jetzt stehen sie da, die
Abdrücke, als eigene Formen, eine grundsätzliche
Änderung der Richtung, der Ausrichtung, auf einem
Sockel. Nicht alles, was vertikal ist, hat auch gleich
einen phallischen Unterton. Dafür sind die Formen zu
fragil, denn fixiert ist hier nichts und doch gelangt
hier der Prozess an einen entscheidenden Punkt: Er ist
unumkehrbar, denn es ist keine Veränderung mehr möglich
ohne Zerstörung. Das liegt in der Natur des Gipses, der
sich, mit Wasser angerührt, nur für eine kurze Dauer
verarbeiten lässt, die Zeit der Formbarkeit läuft ab,
unumkehrbar, wenn der Gips erst einmal trocknet, ist es
vorbei, ein für alle Mal, man kriegt ihn nicht wieder
weich, formbar, im Gegensatz zu Ton, der im ungebrannten
Zustand Veränderungen zulässt ohne Brüche, wenn er
wieder in Berührung kommt mit dem Wasser. Es entsteht dabei ein Gesamtsystem aus alten und neuen Formen, was ist Sockel und was ist Skulptur? in einer Art von Evolution, die über die Dauer der Ausstellung im einstellungsraum hinausgeht. Denn was geschieht mit den Kunstwerken, später, viel später, längst nachdem Sie und ich wieder gegangen sind, wer oder was nimmt es der Künstlerin ab, das Gewicht der Formen, wer trägt die Last der Verantwortung, für die Kunstwerke? Die Last der Materie trägt das Material selbst, oder vielleicht trägt es sogar die Erde? Jedenfalls braucht es dazu keine metaphysische Größe, wie eine Idee oder Form. Denn die Veränderlichkeit, Vergänglichkeit der Materie und damit auch des Kunstwerks, ist eine Eigenschaft, mit der Franziska Windolf experimentiert, ohne sie zu fürchten. Und vielleicht tragen Sie, wie Sie hier stehen, das Gewicht der Formen mit. Wie wird das Material zum Objekt, wie wird ein Objekt zu einem Kunstwerk? Und das ganze umgekehrt. Eine Umkehr trotz der Unumkehrbarkeit der physikalischen Prozesse? Zum Glück fallen hier die Gesetze der Physik nicht zusammen mit den Gesetzen der Vorstellungskraft der Künstlerin: Wie wird ein Kunstwerk wieder zum Objekt, wie wird das Objekt wieder zum Material? Gibt es einen Kreislauf? Und wie lauten seine Regeln? Franziska Windolf stellt diese Fragen an das Material, mit ihren Händen, das Antwort gibt, durch seine Formen; diese Antwort weist über die einzelnen Objekte hinaus, die wiederum aufeinander verweisen, vielleicht auch auf Sie. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. |
| Die
06. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln.
Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM
e.V. |
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| Präsentation |
Vernisage |
| Gefördert
von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und
Hansestadt Hamburg und Bezirksamt Wandsbek |
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