Wilting life mit einem 3-D-Programm generiert, projiziert und mit den Videos parallelisiert, die ihn mit minimalen Bewegungen am Steuer zeigen und verschiedene Blicke aus seinem auf der Autobahn fahrenden Dienstwagen wiedergeben. Diese Gegenüberstellung gewährt einen Blick auf die äußerlichen Bedingungen, unter denen die Formen, die aktuell vor den Augen der Besucher der Vernissage Gestalt annehmen, entstehen. Wilting sagt, die Formen, die er mit  Mouse und Touch-Pad erzeugt, seien von der Tagesform abhängig. Natürlich ist das aktuell die Tagesform im Augenblick der Benutzung des Datenmaterials am Rechner. Doch bietet das Video auch die Monotonie des Dahinbrausens auf der Autobahn als Referenz an; denn wenn es sich um einen normalen Tag ohne Stau handelt, stellt sich nach kurzer Zeit eine Art Trance ein. Der Künstler als Berufskraftfahrer sitzt im bequemen Fahrersitz eines nach eigenen Wünschen klimatisierten Fahrzeugs. Ein Tempomat macht das Gasgeben überflüssig, so dass „lediglich“ gelenkt, gebremst, geblinkt und – je nach Wetter – auch mal der Scheibenwischer bedient werden muss, falls dies nicht schon ein Regen- und Spritzwassersensor übernommen hat. Dieses könnte ein Wunsch- zustand sein, wie ihn ein Philobat7, also ein Mensch der sich am wohlsten fühlt, wenn er unterwegs ist und sich dem Nirgendwo hingeben kann, anstrebt. Das Zermürbende an dieser Routine, die trotzt Bekanntheit der Fahrstrecke und der Berechenbarkeit der Situationen immer das notwen- dige Quantum Aufmerksamkeit verlangt, ist aber die Notwendigkeit, auf plötzliche Eventualitäten vorbereitet zu sein, durch die das Gehirn dann in Millisekunden aktiviert und reaktionsfähig wird. Das macht völlige Entspannung, das Versinken in Gedanken und konzentriertes Nachdenken unmöglich.
Das Wissen um mögliche Wechselfälle bricht am Ende des Videos in Gestalt eines Objekts herein, das aus einem Fluchtpunkt hervorwächst, wobei es sich um eine EchtzeitPlastik handelt, die sich vergrößernd auf die Windschutzscheibe zugeflogen kommt. Sie zerschellt nicht auf der Schei- be, sondern erweist sich möglicherweise als Halluzination. Dann ist der Film zuende, ohne dass das Rätsel aufgelöst wird. Was also bedeutet dieses Artefakt?

5. De-konstruktion des surrealistischen Automatismus aus Subjektivitätsfragmenten
Handelt es sich um eine Fata Morgana oder bricht da nicht aus dem nüchtern organisierten Verkehrsdispositv das Wesen des Menschlichen hervor, das Subjektive, die Irrationalität oder gar die Ausgeburt des Geistes der Vernunft, den schon Goya beschwor. 
Es ist wohl notwendig, das eingangs Geschilderte noch weiter zu vertiefen, denn mit dem hybriden Zustand zwischen Pflicht und Versunkenheit ist bestimmt nicht die ganze Situation eines Fahrers zu erfassen. Obwohl das Autofahren noch ein sehr junges Betätigungsfeld ist, geht es - wie schon bemerkt - anthropologisch auf das Fahren mit dem Kampf- und Jagdwagen zurück, was bedeutet, dass es mit Lebensgefahr verbunden und mithin ein Akt höchster Anspannung ist. Zudem war die Jagd als königliches Privileg ursprünglich mit hohem Status verbunden, während sie heute für jeden möglich und verkehrstechnisch sogar ein Massenphänomen ist. Daher wird das Bewusstsein einer möglichen Gefährdung durch die Organisiertheit des Verkehrssystems und zahlreiche Vorkehrungen zur Unfallvermeidung
e Organisiertheit des Verkehrssystems und zahlreiche Vorkehrungen zur Unfallvermeidung
7 Die Beschreibung des Philobaten durch Michael Balint gibt das Grundmuster wieder mit dem das Verhalten von Menschen auf Reisen charakterisiert worden ist. (Angstlust und Regression, dt. Reinbek 1972). Ich halte seinen Ansatz noch heute für angemessen und brauchbar, da er die Auswirkungen des Reisen zu erfassen und die Reaktionen auf Trostlosigkeit und Langeweile zu bestimmen versucht. Wenn auch die Aufteilung in zwei Grundtypen sehr grob ist, sind die Verhaltensmuster jedoch differenzierbar: Für Philobaten bedeutet Fahren Entspannung, weil die vertraute Umgebung und damit auch die lästigen Hindernissen des Alltags verlassen werden, wohingegen die Oknophilen durch Entfernung vom Heimatlichen und Vertrauten verunsichert werden.

Die 1. Ausstellung Jahresprojekt HYBRID,   EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg 
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