ausgeblendet. Durch diese Maßnahmen und die dichte Infrastruktur erscheint der Umkreis eines Hauses auf ganze Staaten, ja sogar Kontinente ausgedehnt und senkt sogar die Schwellen für den oknophilen8 Verkehrsteilnehmer. Das führt dazu, dass in der konstanten Umgebung des Autos und der Stereotypie von Tankstellen und Raststätten ein Gefühl von Vertrautheit aufkommt, das an ein Zuhause erinnert, doch wer kennt schon die Gegenden, die durchquert werden, wirklich. Aus diesem Grunde gaukelt das Verkehrsdispositv dem Straßenbenutzer nur eine Illusion von Sicherheit, Vertrautheit und Freiheit vor, in die jederzeit der Horror hereinbrechen kann. Die ganze Drastik des Verdrängten hat David Lynch in „Wild at Heart“ (1990) inszeniert, wo die Protagonisten Sailor und Luna nachts mitten im „Nichts“ einer menschenleeren Steppe des mittleren Westens der USA anhalten. Als sie das Auto verlassen, finden sie Verletzte und Sterbende, wobei man als Zuschauer schwankt, ob man sich auf dem Schauplatz eines Verkehrsunfalls oder in einem Alptraum befindet.

Vor dem Horizont dieser kurzen kulturgeschichtlichen Exkurse des Reisens und Fahrens, handelt es sich bei den Echtzeitplastiken um Gebilde, die in der relativ unbeschwerten Fahrsituation hervorbrechen wie Träume in einen Halbwachzustand. Kunsthistorisch gesehen, liegt hier eine Verwandtschaft mit den tranceartigen Zuständen vor, mit welchen die Surrealisten im Anschluss an dada an die in den 1920er Jahren sich abzeichnende vernunftmäßige Organisation der Arbeit und des Alltags reagierten. Sie strebten eine Überwindung der gesellschaftlichen Gängegelung an, indem sie sich dichtend, malend und zeichnend unmittelbaren Einblick in ihr Unterbewusstsein zu verschaffen suchten und damit dem Subjektiven eine Erscheinungsmöglichkeit gaben. Trotz der Nähe zu automatischen Zeichnungen, die eine abstrakt gesehen direkte Entäußerung unkontrollierter  Gemütszu-
stände herbeiführen können, entwickeln sich diese Aspekte in den EchtzeitPlastiken  Wilting's  ungleich komplexer und unter den heutigen Voraussetzungen. Scheinbar mühelos werden sie mit Serien von Mausklicks mit der Vorauswahl passender „Tools“ geformt. Dieses ist dank einer kulturellen Leistung möglich, die ebenfalls durch die Künstler der klassischen Avantgarde begonnen wurde, die dezidiert nach visuellen Grundelementen und Versatzstücken suchten, um bestimmte Zustände und Phänomenen darstellen zu können. Diese Teile einer künstlerischen Produktion von Subjektivitätsfragmenten durch Wilting können als Elemente des Widerstands gegen die um sich greifende Desubjektivierung9 der Welt gesehen werden. Sie setzen die Produktionsweise der Junggesellenmaschinen fort, um das Abgeschnittensein der Menschen von der Kreativität, die ihnen die Maschinen in Form der Produktivität vorgaukeln, zu kompensieren10.  In diesem Sinne wäre es hier sogar möglich, weiterhin von Dekonstruktion zu sprechen, weil die Echtzeitplastiken wie zuvor schon die Timewreckages das „Ausgegrenzte wieder ans Licht bringen“11.

(Siehe auch meine Ausführungen über Wilting und futuristische Topoi für Geschwindigkeit, die zur Finissage seiner Ausstellung entstanden. Sie befinden sich auf der Website des Künstlers:
http://www.norbertwilting.de/)



8  Balint, siehe Anmerkung 7
9 Vgl. Agamben, Seite 39 - s. oben Anm. 5
10 Wie Maurice Blanchot in L’amitié schrieb, bedeutet die Existenz der Maschinen „nichts anderes, als dass der Mensch sich wiederholt; denn wäre unser Wesen unerschöpflicher Überfluss, gäbe es weder die Wiederholung noch die Perfektion der Maschine.“ Zit. nach Harald Szeemann (Hg.) Junggesellenmaschinen, Venedig, Civitanova 1975, S. 19.
11 Peter Engelmann: Postmoderne und Dekonstruktion, in: ders. (Hg.) Postmoderen und Dekonstruktion, Stuttgart 1990,
S. 5-32, hier S. 31.

Die 1. Ausstellung Jahresprojekt HYBRID,   EINSTELLUNGSRAUM e.V.
mehr Bilder
Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg 
back
home