Und doch sind ausgerechnet diese Anstrengungen, das Ganze in Fluss zu halten, die Bedingung dafür, dass permanent individuelle Leistungen und Produkte mit großer Geschwindigkeit in Bewegung sind und Teilen der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden.

Das Bemerkenswerte an der Heidelberger Maschine ist, dass die Dyna- mik des Verkehrstroms dem Blutkreislauf gleicht. Und wenn man bedenkt, dass die Untersuchungsergebnisse der transportierten Blutproben in Daten transformiert und elektronisch für ärztliche Diagnosen aus dem Labor versandt werden, kann man den Begriff des Dispositivs hier konkretisieren und zugleich ausweiten, weil hier Blut-, Verkehrs- und Datenströme ineinander greifen und eine weitgehende Verquickung von biologischen, datenverarbeitenden, verkehrs- und medizintechnischen Systemen darstellen. Was aber geschieht mit den Menschen, die in diesem engmaschigen System an vielerlei Stellen ob als Arbeitskraft oder Patient eingefügt werden und planmäßig funktionieren, obwohl gerade erstere als Fahrer, äußerlich gesehen, individuell auf langen Strecken unterwegs sind, wo sie jederzeit eigene Wege einschlagen könnten.


Gefahr, Jagd, Trophäe
Das Gebilde auf dem Autodach ist ersichtlich virtuell und in das Motiv montiert. Wegen seiner Position wirkt es nun jedoch wie eine Trophäe, wie sie gelegentlich auf vollbepackten Autos von Heimreisenden zu sehen ist, die ein Geweih oder ein Möbel am Urlaubsort erstanden haben. In solchen Fällen handelt es sich um eine Pseudo-Beute einer Jagd, die nicht mehr wirklich stattfinden muss, wenn Dinge wohlfeil sind. Die Beute in Wiltings Arbeit ist virtuell, erinnert aber noch an die Anfänge des Fahrens, wie sie z.B. auf den Marmorreliefs6 mit Darstellungen von Löwenjagden assyrischer Könige zu sehen sind, die Fahren und Jagen als königliche Privilegien ausübten.  Nach fast 3000 Jahren sind diese Schemata des 

Jagens und Beutemachens zum Signum einer alltäglichen Beschäftigung und zum Gelderwerb geworden. Das Objekt, das Wilting dem Alltagsauto appliziert hat, spielt durch die blutrote Farbe und durch seine Ähnlichkeit mit einem Blutgerinnsel sogar ästhetisch auf die Jagd an.

Ein Gegenstand, den Wilting in den in der Ausstellung laufenden Film mit dem gleichlautenden Titel montiert hat, ähnelt dem Gebilde, welches die Einladungskarte auf dem Autodach des am Straßen- rand abgestellten Fahrzeugs zeigt. Kurz vor Ende des Films kommt der Gegenstand wie ein Knochen um die Längsachse rotierend auf den Betrachter zugeflogen, der in dem Auto sitzt, von dem aus durch die Windschutzscheibe die Autobahnfahrt gefilmt wird. Es könnte ein Flugobjekt sein, das auf die Windschutzscheibe prallt, doch wirkt es in der Langsamkeit der Drehung nicht synchron mit der gefahrenen Geschwindigkeit des Fahrzeugs und daher physisch irreal. Dennoch erinnert es an Insekten oder Vögeln, wie sie gelegentlich auf die Windschutzscheibe prallen. Aber es bleibt nicht wirklich haften, weil es anscheinend einer anderen Existenzebene angehört. Es hat mit den Vorstellungen zu tun, die sich während einer Autofahrt einstellen. Möglicherweise können sie als eine Art sublimierte Beute zu gelten, die sich in einer tranceartigen oder entsprechenden Verfassung nicht zurückdrängen lässt. Solche Phantasiegebilde, die nicht wirklich als Bedrohung empfunden werden müssen, können für einen Künstler nicht minder als „Beute“ oder „Ausbeute“ einer Reise angesehen werden. Wilting trägt diese Gebilde in sich, um sie nach seinen Fahrten als EchtzeitPlastiken zu realisieren, so als ob diese virtuellen Objekte nur darauf warten würden, abgerufen und abgebildet zu werden.

4. EchtzeitPlastiken der Tagesform

Während der Ausstellungseröffnung wird die Entstehung von Formen, die  
6  Solche sind im Pergamonmuseum in Berlin und auch im British Museum in London ausge- stellt und ca. im 8. Jhd. v. u. Z. entstanden.

Die 1. Ausstellung Jahresprojekt HYBRID,   EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg 
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