Flüchtige Gedankenspiele zum Jahresthema SCHEIN, sowie Bemerkungen zur Ausstellung von Julia Eltner

Nora Sdun, 08.03.2007


Kunst, die ihre Rettung vor dem Schein im Spiel sucht, läuft über zum Sport.
Die Rettung vor dem Schein - was ist so schlimm am Schein und warum gibt es dem gegenüber überhaupt das Bedürfnis nach Authentizität, also nicht Schein, was offenbar mit Sicherheit identifiziert wird?


Was hat es zu bedeuten, dass an amerikanischen Autorückspiegeln steht: "Things in the mirror appear closer than they are". Es ist eine Warnung davor, dass Dinge näher scheinen, als sie sind. Seltsam eigentlich, da man im Straßenverkehr doch umso angenehmer fährt, je größer man den Sicherheitsabstand bemisst.

Es gibt verschiedene Sorten SCHEIN. Erscheinen tun Engel oder göttliche Boten und eben Dinge in Rückspiegeln. Julia Eltner hat eine Reihe solcher Erscheinungsformen thematisiert: Rückspiegel, Suchmeldungen, Seifenblasen und Überwachungskameras lassen sich je unter einen Bereich von Schein ordnen. In Rückspiegeln - und Spiegeln überhaupt - gibt man sich optisch illusionären Phänomenen hin, man findet sich schön oder gealtert, man meint jedenfalls im Spiegelbild etwas zu finden. In Personensuchmeldungen giert man nach der Wiederholung einer Situation, die man glaubt, erneut hervorscheinen lassen zu können, so man nur die Person wieder findet, die einem dieses besondere Erlebnis verschafft hat. In der Metapher der Seifenblase, des Schaums, liegen eben diese Projektionen - vergänglich, empfindlich, zart und frei schwebend. In Überwachungskameras implodiert genau diese Idee von Freiheit und Schein, da die Kameras bekanntlich rechtskräftiges optisches Beweismaterial liefern für Ereignisse, die man anders wahrnahm (findet) als das Kameraauge. Dieses Kameraauge ist aber von Seiten der Rechtsprechung das wahrer sehende - justitiabel, aufgrund seiner angeblich unparteiischen immer gleichen Wiederholbarkeit und damit der menschlichen Wahrnehmung überlegen, die Kamera sucht nichts - also findet sie auch nichts, sie nimmt lediglich auf. Der Film der dort entsteht ist starr und fremd. So lässt sich zurückkommen auf die wahnhafte Idee, Dinge wiederholen zu können - als melancholischer Blick in den Spiegel und als Suchmeldung.
Es gibt verschiedene Sorten SCHEIN aber es ist alles aneinandergehängt und miteinander verquickt.
Auf der Gravur im Rückspiegel wird in konkretistisch handfester Art und Weise auf eine unmittelbare Verbindung zwischen Dingen und Erscheinungen hingewiesen. Eine Grobheit, die man sonst eher selten antrifft, man versucht solches eher zu kaschieren. Mehr zu scheinen als man ist - für sich zu werben und zu blenden (Sammy Molcho, ein Pantomime, hat gesagt, dass es keine natürliche Bewegung gibt, man spielt immer).
Die Zerstörung des Scheins, die Rebellion gegen ihn als eine Rebellion gegen Harmonie, auch als eine Rebellion gegen das Gekünstelte, das haben Künstler schon immer probiert, aber diese Unternehmungen bleiben selbst immer ganz im Schein gefangen, denn bei Kunst ist es ja nun klar, dass das nicht wirklich wahr ist sondern eben: wirklich gebastelt - immer total künstlich.

Der Schein als Nachahmung des Wirklichen ist als Mimesis nicht von der Illusion zu befreien. Das Einzige, was Kunst in diesem Fall kann, ist mit offenen Karten zu spielen, und das illusionäre Moment der Rebellion, wie des Scheins, als integralen Bestandteil mit sich herumzuführen. Und nicht zu leugnen, dass man sich von diesem nicht abkoppeln kann. Andernfalls hat man es wieder mit Werbung oder anderer Täuschung zu tun: wie z.B. auf der Internetseite www.will-dich-wiedersehen.de ein verzweifelt vermurkstes Konstrukt aus Projektion und Werbung, aber eben angetrieben vom wirklich Wahren, dem Bedürfnis, eine Situation wiederholen zu wollen, die man, sozusagen nur noch im Rückspiegel, größer und immer größer wahrnimmt, als sie wahrscheinlich wirklich war (wirklich Wahr). ("Wahrschein- lich" ist übrigens auch ein schönes Wort im Spiel der Buchstabenkombinationen, die man zum Wortfeld SCHEIN entwickelt hat.)
 

Eine sonderbare Suchanzeige auf
www.will-dich-wiedersehen.de lautet: "Ich war am letzten Samstag, gegen 12-14Uhr in der Rembrandt-Ausstellung im Berliner Kulturforum am Potsdamer Platz. Du warst groß, hattest eine dunkelblaue Jeans und ein hellblaues Hemd an, das du bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hattest. Deine dunkelbraunen (schwarzen?) Haare waren leicht verwuschelt. Ich bin rothaarig und hatte ein weißes T-Shirt und eine Jeans mit mehreren Schnallen an den Hosenbeinen an. Wir hatten intensiven Blickkontakt und als ich dir meine Nummer auf ein zusammengesuchtes Zettelchen schreiben wollte, warst du schon weg; Würde mich freuen, dich auf diesem Weg wieder zu finden!!!"Also diese Suchanzeige demonstriert ja mal ganz schön, was Menschen in der Lage sind, zu beschreiben mit dem Support einer Ausstellung von Rembrandt - sie probieren eine Bildbeschreibung von einer Person, keine sonderlich gelungene, sage ich, und das ist auch kein gelungener Steckbrief.
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