Die Unsichtbaren
Götter
Gedanken zur der Ausstellung Bernhard Schwank: Fosylcanruun von Dr. Thomas J. Piesbergen. Auf unserem
Planeten gibt es abertausende von Ethnien, deren
Gesellschaftsstrukturen,
Sprachen, Ideologien und kosmologischen Konzepte
unterschiedlicher kaum sein könnten. Eines jedoch
teilen die meisten von Ihnen, unabhängig wie weit
voneinander entfernt sie leben und wie unterschiedlich
ihre kulturelle Genese auch gewesen sein mochte:
Ihre Eigenbezeichnungen bedeuten fast immer in
wörtlicher Übersetzung „Mensch“, während ihre
Fremdbezeichnungen und die Bezeichnungen, mit denen
sie selbst Zugehörige anderer Ethnien bedenken, meist
ausdrücklich negative Konnotationen haben. Die Eigenbezeichnung „Inuit“ bedeutet ebenso „Mensch“ wie „Diné“, der eigentliche Name der Navajo. Die Navajo bezeichnen andere Menschen als „Anaa´i“, was sowohl „Fremder“ als auch „Feind“ bedeutet. Die Selbstbezeichnung „Hmong“, eine Ethnie im Goldenen Dreieck, lautet übersetzt „freie Menschen“, während sie von ihren Nachbarn als „Miao“, als Barbaren bezeichnet werden. Buschleute nennen sich selbst „Khoikhoi“, die „wahren Menschen“ oder „Kwe“, was ebenfalls „Mensch“ heißt, während sie von anderen Gruppen als „San“ bezeichnet werden, was gleichbedeutend ist mit „Fremder“ und „Bandit“. Die Tuareg, die von den Arabern „Tawariq“, das „von Gott verlassene Volk“ genannt werden, nennen sich selbst, je nach Herkunft, Imajeghen, Imuhagh oder Imushagh, was jeweils „Mensch freier Abstammung“ bedeutet. Auch die Eigennamen der sibirischen Nenzen und Nganasanen bedeuten jeweils „Mensch“. Ihre russisch-sprachigen Nachbarn nennen sie jedoch „Samojeden“, die „Selbstverzehrer“, also Kannibalen. Diese wenigen Beispiele verschiedenster Provenienz sollen genügen, um die Haltung zu verdeutlichen, die Menschengruppen in der Regel bei der Beurteilung der eigenen und fremder Kulturen an den Tag legen. Die eigene Kultur stellt dabei den Normzustand dar, das „wahre“ Menschsein, alle Zugehö- |
rigen anderer Ethnien können also
nur Verbrecher, von Gott Verlassene, Feinde oder
Kannibalen sein. Die Besonderheiten der eigenen Kultur
werden nicht gesehen, lediglich die davon abweichenden
Merkmale bei anderen beobachtet, verschmäht, bespöttelt
oder stigmatisiert. Die eigene kulturelle Praxis bleibt
unser blinder Fleck, der Standpunkt, von dem aus wir
andere beurteilen, der aber selbst unsichtbar bleibt. Die Legitimation, die wir in der sogenannten westlichen, aufgeklärten Kultur dafür heranziehen, unterscheidet sich auf den ersten Blick sehr von den ahistorischen und historischen Traditionen. Während die ahistorischen Kulturen davon ausgehen, daß ihre mythische Ordnung die allgemeingültige Ordnung einer zyklischen, unwandelbaren Welt darstellt, deren Teil sie sind, nur sie also durch ihre Riten den Erhalt der Welt gewährleisten können, denken und handeln die meisten großen historischen Religionen teleologisch, also zielgerichtet in einer linearen Welt, an deren Ende ein Himmelreich steht, um dessen Verwirklichung sie mit den „irrgläubigen“ und „rückständigen Heiden“ konkurrieren. Aus dieser Vorstellung einer linearen Entwicklung, die zuerst zu immer mehr Gottesnähe und schließlich aber zu Erkenntnisgewinn und dadurch zur fortschreitenden Verwirklichung des Menschen führt, ging schließlich über die Etappen der Renaissance und der Aufklärung ein Konzept der Welt als geschichtlicher Prozess hervor, der am Ende alle mythologischen und transzendenten Erklärungen negiert. Das Primat der Vernunft, das wissenschaftliche Denk- und Weltmodell, das nach unseren Vorstellungen am Ende einer „Evolution“ der menschlichen Kultur stehen muß, erhebt sich über alle anderen Kulturen, die ihre Überlegenheit „nur“ mythologisch, also irrational legitimieren. Der rationale, nicht von Mythen und Religionen verblendete Mensch erhebt sich über den „noch“ irrationalen Menschen, der die Welt nicht vernünftig, also „objektiv“ betrachten kann. Doch gerade in dem der Mensch der „westlichen Zivilisation“ sich selbst von einer irrationalen, mythisierenden kognitiven Verzerrung freispricht, fällt es ihm um so schwerer, den sog. Bias seiner eigenen Weltwahrnehmung zu erkennen. Denn natürlich ist nur die abendländische Zivilisation der Ort, an dem sich der „wahrhaft freie Mensch“ entfalten kann, weshalb nur sein Blick der wahrhaftige, rationale und objektive sein kann. Hier fällt das Muster der Selbstwahrnehmung unserer vorgeblich rationalen Zivilisation also wieder mit dem der archaischen Kulturen zusammen. Gleichzeitig ist aber aus dem mythischen Erbe die Aufforderung „Erkenne Dich Selbst“ durch unsere |
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Die
04. Ausstellung zum Jahresprogramm SPRIT und
SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
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von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und
Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek |