Gökçebağ gibt seiner Version des shared space eine Gestalt, indem er in einer Installation eine Reihe von Schuhpaaren mit tendenziell unendlich langen Senkeln miteinander verbunden hat und in einer anderen auf der ganzen Wand versetzt einzelne Schuhe montiert hat, zwischen denen die Senkel ein Muster entstehen lassen. Diese Geflechte erinnern an Werke der Konzeptkunst; denn die angewendete Systematik schafft eine Struktur, die sich in eine klare Anweisung übertragen lässt und deshalb beliebig oft wiederholen und bei Bedarf sogar räumlich erweitern lässt. Das Netz von Linien, die als Senkel materialisiert vor der Wand schweben, erlaubt je nach Beleuchtung mit Kunst- oder Tageslicht ganz unterschiedliche Einblicke in die Schönheit der Struktur, die wechselndes Licht- und Schattenspiel noch verfeinert. Diese abstrakte Seite der Installation wird jedoch immer wieder auf die konkrete Ebene bezogen, der sich die Schuhe wegen der ihnen anhaftenden praktischen Implikationen nicht entziehen können. Diese sind so stark, dass sie die Wirkung der Installationen in eine soziale und kulturelle Richtung zu ziehen. Unweigerlich treten dann die Schuhe als Kleidungsstücke in den Vordergrund. Zwischen dieser Erzählung und den abstrakten Mustern oszilliert die Anschauung, so dass ein Spiel zwischen künstlerischen Ansätzen entsteht, die man gewöhnlich voneinander trennen würde. Doch Gökçebağ bekennt sich zu einer neo-dadaistischen Position, in der die Beziehung von Kunst und Leben gegeben ist, die schon das Jahresthema 2010 antizipieren. Es heißt HYBRID.

  • Schwerkraft überwinden
Abschließend möchte ich noch auf die im Keller ausgestellte Arbeit zu sprechen kommen, die ursprünglich als eine den ganzen Ausstellungsraum erfassende Installation geplant war. Sie zeigt auf drei Wände verteilt mehrere einzelne Schuhe, die raumgreifend miteinander vernetzt sind. Die Senkel bilden somit ein Geflecht zwischen den vielfach miteinander verbundenen Schuhen und überlagern sie damit, wodurch deren Konkretheit - stärker als das in den anderen Installationen der Fall ist - zurückgedrängt wird. Die Schwere der Schuhe, die ihre Benutzer mit dem Boden in Berührung bringt, wird durch die den Raum schwebend durchziehenden Senkel abgemildert, wenn nicht aufgehoben.
Die in den Raum geschriebenen Linien erinnern deshalb an die in der Luft fortgesetzten Spuren der Kufen von Eiskunstläufern und betonen den Aspekt der Gravitation und ihre Überwindung im Spiel. Die Bezeichnung Schnürsenkel, die von der Schnur mit dem metallbeschwerten Ende (Senkblei) abgeleitet und mit dem mittelhochdeutschen Verb senken verwandt ist, bestätigt diesen Zusammenhang und erhellt die Spannung die zwischen dem Paar Schuhen, dessen Spitzen nach oben zeigen, und den in mehreren gestaffelten Schleifen herabhängenden Senkeln besteht. Die in einer Schreitposition an der Wand angebrachten Schuhe suggerieren einen himmelwärts eingeschlagenen Weg, dessen Beschreiten nur durch die wie Schlingen hängenden Schnürbänder aufgehalten wird. Dieses Bild bringt mich dazu, an den Himmelsstürmer von Jonathan Borofsky zu erinnern, der zum Wahrzeichen der documenta9 geworden ist.
  • In die Vertikale gehen 
Eine gravitatorische Assoziation lösen auch fünf Gummistiefel aus, die am Schaft mehrfach so eingeschnitten sind, dass die Schaftsegmente, die abwechselnd nach links und rechts fallen,  zu Gliedern einer Kette werden. Wie sich in einem Gespräch mit Antje Bromma ergab, gleicht diese Bewegungsvorstellung den Zick-Zack-Bahnen von im Wasser absinkenden flachen Kieseln. Somit stellt sich hier abermals ein Schweregefühl von einem Gegenstand ein, der in einem Medium gebremst oder aufgefangen wird. Dieser Zusammenhang hat offensichtlich mit dem Bodenkontakt zu tun, für den Stiefel und Schuhe als Fußbekleidung gemacht sind. Um trotzdem mit ihnen voranzukommen, müssen sie bei jedem Schritt aufs Neue angehoben werden. Es zeigt sich, dass mit der Bodenhaftung durch Schuhwerk zugleich der Wunsch geboren wird, sich der Schwerkraft zu entziehen und schnell große Entfernungen zurückzulegen. Wie sehr Schuhe mit einem Flug- oder Fluchtgefühl zusammenhängen, veranschaulicht auch ein chinesisches Märchen, das mir einmal Linda Montano erzählte:
Ein Vater fertigte seiner Tochter bleierne Schuhe an, die sie seit Kindesbeinen trug. Nachts passte er sie ihrem wachsenden Fuß an. Und er schärfte seiner Tochter ein, diese Schuhe niemals und unter keinen Umständen auszuziehen, es sei denn sie komme in ausweglose
Weitere Bilder der Ausstellung 
                                Vernissage
Die 10. Ausstellung im Jahresprojekt shared space 2009 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Bezirksamt Hamburg Wandsbek
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