• Schuhe als Ready-Made

Das Aufkommen von Pop-Art und Fluxus in den 1960er Jahren reflektiert den zunehmenden Wohlstand, der aus europäischer Sicht sowohl den Mangel an Schuhwerk beendete wie auch einen Wandel in der Auffassung von Kunst einleitete. Zahlreiche Künstlern verwendeten reale Schuhe oder vorhandene Abbildungen von Schuhen sowie Abdrücke von Schuhsolen. Andy Warhol, dessen Tätigkeit als Werbezeichner für eine Schuhmarke legendär ist, hat Fußabdrücke aus einem Merkblatt für Tanzschritte als Siebdruck vergrößert drucken lassen. Auf dem von Jon Hendricks herausgegebenen Addenda I zum Katalog der Fluxus-Sammlung von Silverman ist ein Schuh aus einer historischen Annonce abgebildet. 1972 wurde ein Fluxus-Festival mit dem Titel „Flux-shoe“ an verschiedenen Orten in England veranstaltet. Der über Nam June Paik mit Fluxus verbundene japanische Künstler Tatsumi Orimoto veröffentlichte 1986 einen Band mit Fotos seiner Aufenthalte in Städten, die jedesmal seinen beturnschuhten Fuß zeigen, den er gegen Schaufensterrahmen, Hydranten, Podeste, Plakate, Kanaldeckel, Autostoßstangen etc. gestellt hat.

Hier können diese wenigen Beispiele eine Kunstgeschichte des Schuhwerks nur andeuten, und man kann ahnen, wie bedeutendend dieses Feld ist, auf dem die Arbeiten von Sakir Gökçebağ stehen.

  • "Schusters Rappen"
Tatsächlich ist die elementare Bedeutung von Schuhen schon an der Aufmerksamkeit abzulesen, die diese Ausstellung bei den meisten Pas- santen nur durch die Präsentation von 11 Schuhpaaren im Schaufenster hervorruft. Die Irritationen gehen nicht allein von den Schuhen aus; denn die tatsächliche Herausforderung, die ein zweites Hinschauen erfordert, liegt darin, dass alle Schuhe an der Kante der Schaufensterablage, auf der sie stehen, vorn abgeschnitten, und die Schuhspitzen eine Stufe tiefer auf den umgebenden Rand gerutscht sind. Die serielle Verstümmelung der Schuhe beunruhigt besonders ältere Menschen, weil sie sich noch an
Zeiten des  Schuhmangels erinnern, die in vielen Anekdoten überliefert sind. Fast jede Familie kennt Geschichten von Schuhen, die von einem Kind an das andere weitergegeben werden mussten. Auch wurden Schuhe an den Spitzen aufgeschnitten, damit sie mit dem Wachstum der Kinder Schritt halten konnten. Schließlich sind Schuhe das Verkehrsmittel der Armen, wie es in der Metapher „Schusters Rappen“ anklingt. Diese ‚Pferde’ aus dem Stall des Schusters erlauben es Menschen, ohne andere Verkehrsmittel unabhängig vom Wetter auch große Entfernungen zurückzulegen.

  • Im Labyrinth zwischen Konzept und Realität
Die kunst- und kulturgeschichtlichen Implikationen können aber nur einige Reaktionen auf das hier ausgestellte Werk erklären und seinen Stellenwert andeuten, obwohl mit ihnen so etwas wie eine Kulisse steht, vor der diese Werkgruppen in einen ersten Zusammenhang gestellt werden können. Dagegen ist noch nichts über die Ästhetik dieser Wand- und Raum- installationen gesagt, die sich gegen die - wie wir gesehen haben - starke kulturelle Bestimmung von Schuhen durchsetzen muss. Ganz entschieden treten die Schuhe durch ihre Montage an der Wand aus ihrer zweck- mäßigen Verwendung, und außerdem sind sie keinem Individuum zuzuordnen, auch wenn die paarweise Zusammenstellung nicht jedesmal aufgegeben wird. Ihre gewohnheitsmäßige Zweckbestimmtheit durch- kreuzen zunächst die Schnürsenkel, welche die Paarigkeit stören, indem sie über einzelne Schuhe hinaus auf andere übergreifen. Darin liegt ein erster konkreter Hinweis auf den Titel unserer Ausstellung „Shared Space“, den Gökçebağ schon 2004 zur Ausstellung seiner Installation aus Schuhen und Schnürsenkeln verwendet hatte, was ihn dazu bewog, sich am gleichnamigen Jahresthema des EINSTELLUNGSRAUM shared space zu beteiligen. Mit der Verbandelung der Schuhe durch Schnürsenkel liefert der Künstler auch ein außerordentlich eindringliches Bild für die labyrinthische Verbindung von Menschen auf einer Verkehrsfläche, angesichts der man sich fragt, wie das ganze Gewühl sich selbst organisiert. Wie kommt es, dass der rechte Schuh beim Linken bleibt und beide Füße in dieselbe Richtungen gehen?

Weitere Bilder der Ausstellung 
                                Vernissage
Die 10. Ausstellung im Jahresprojekt shared space 2009 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Gefšrdert von der Behšrde fŸr Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Bezirksamt Hamburg Wandsbek
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