Informationsfluß
des Einzelnen zur Umwelt zu verfügen. Dieser Aspekt
ist gerade in den letzten Wochen einmal mehr zum
Anlass des Kummers und der medialen Empörung geworden,
als Facebook und die Deutsche Post sich des massiven
Datenmißbrauchs schuldigt machten.
Dennoch nutzen weiterhin Milliarden von Menschen bedenkenlos die Dienste von Google & Co. und machen sich dadurch freiwillig bis in die intimsten Details transparent. Ihre alltägliche Wege werden aufgezeichnet, ihre Einkäufe, ihre sozialen Kontakte, ihr politisches Interesse, ihre sexuellen Vorlieben, ihre Sehnsüchte und Zukunftspläne. Doch in dem Moment, in dem man sich so tiefgreifend offenbart, degradiert man sich selbst zur verkäuflichen Datenmenge, zu einem nahezu vollkommen berechenbaren Akteur und Konsumenten, dessen Handlungen entsprechend perfekt mit kommerziellen Angeboten aufgefangen und kanalisiert werden können. Wie ist es da noch um die Handlungsoptionen als Gradmesser von Freiheit bestellt? Die Wirtschaft strebt nach permanentem Wachstum, ihre Verkaufsstrategien entsprechend nach ständig wachsender Effizienz. Das Zauberwort der Stunde lautet „Mustererkennung“. Die Algorithmen der großen Konzerne sind längst die maßgebliche Quelle der Marktforschung geworden und es werden ständig neue Profile und Profiltypen errechnet, um möglichst alle individuellen Bedürfnisse zu bündeln und ökonomisch verwertbar zu machen. Dadurch findet eine systembedingte Stereotypisierung statt. Gleichzeitig werden alle Chiffren des Zeitgeistes assimiliert, um jede nur erdenkliche Form von Jugend- oder Subkultur unmittelbar mit einem perfekt angepassten Set an Produkten zu versorgen. Alle Begriffe oder Symbole einer möglicherweise systemkritischen Haltung werden von dem System vereinnahmt, sobald sich die Subkulturen in signifikantem Maße der Mittel des Systems bedienen und dadurch sichtbar werden. Sobald also Freiheit innerhalb der Parameter gesucht wird, die von den ökonomischen Verwertungsstrukturen unserer Gesellschaft gewährt werden, führt diese Suche immer in die Sackgasse von Kontrolle und Normierung, also zu einer Begrenzung der Freiheit, genauso wie die Suche nach Gemeinschaft innerhalb der von der digitalen Öffentlichkeit angebotenen Parameter zu einer zunehmenden Isolation führt. |
Doch wie ist es
möglich, dass sich, obwohl diese Effekte bekannt
sind oder wenigstens erahnt werden, kein
veritabler, breiter Widerstand dagegen formiert?
Schuld daran ist die Behauptung, die Entwicklung
sei „alternativlos“, es gäbe keine
Wendemöglichkeit. Diese defätistische Haltung
ist es, die selbst Menschen, in denen sich
starker Unwillen regt, dazu veranlasst, trotz
allem Google zu benutzen, sich orten zu lassen
oder alle sozialen Kontakte auf WhatsApp
auslesbar zu machen. Den zentralen Irrtum, der diesem Verhalten zugrunde liegt, isolierte der Mathematiker und Logiker Kurt Gödel 1931 mit seinem Unvollständigkeitssatz, der sich auf alle weltbe-schreibenden, formalen Systeme übertragen lässt: die Verwechslung der Karte mit der Landschaft, also die Behauptung, die Wirklichkeit ließe sich vollständig in einem Modell abbilden und innerhalb dieses Modells begründen. Alternativlos ist der Austritt aus dem System nur, wenn man innerhalb der Parameter des Systems denkt. Sobald aber offenbar wird, dass kein Modell oder System imstande ist, den alleinigen Anspruch auf Wirklichkeit zu rechtfertigen, muss von einer tieferen Wirklichkeit ausgegangen werden, die nicht von dem System erfasst wird; von der man, mit den Worten Wittgensteins, schweigen sollte, die aber tatsächlich die einzig essentielle ist. Mit diesem Schritt aus dem post-industriellen Realitätslabyrinth mit seinem Anspruch auf Alleingültigkeit beschäftigt sich Anik Lazar in ihrem Projekt KOLLEKTIVE DEVIATIONEN. Auslöser war ein Moment, in dem sie sich mit einem Navigationssystem ihres Mobiltelefons zu orientieren versuchte und mit einem Mal keine Verbindung zum Netz mehr hatte. Nach wie vor war ihr eigener, per GPS georteter Standort als weiß-blau pulsierender Punkt auf dem Display zu sehen, sowie die blaue Linie, die die vorgeschlagene Reiseroute markierte. Verschwunden war jedoch die Karte. Statt dessen erschien auf dem Display ein feines, graues Raster. Die Karte, das Modell der Wirklichkeit war erloschen und das pulsierende Individuum war von einem unerwarteten Möglichkeitsraum umgeben, der eine akute Begegnung mit der Wirklichkeit nicht nur erlaubte, sondern regelrecht erzwang, und gleichzeitig dazu verlockte, in die terra incognita des unbekannten Raums einzudringen, in der sich keine von der Karte nahegelegten Entscheidungen anboten, sondern das Individuum zu einem kreativen Prozess der Wegfindung angehalten war. |
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