Der Mensch würd` sich zufrieden geben
damit, daß tragisch wird das Leben.
Das Schwierige liegt mehr an dem:
es wird auch fad und unbequem.

Wir leben also zusehends in einem faden und unbequemen Kontinuum, das uns die unmittelbar erfahrbaren Reize, die uns ein Gefühl von Lebendigkeit vermitteln könnten, vorenthält, während wir glauben, uns ohne weiteres in ein Leben voller Erschütterungen fügen zu können, wenn die zugefügten Verletzungen unserer Seele nur gestatten würden, zu wachsen und Größe zu beweisen. Doch diese tragische Größe bleibt eine Phantasie.

Zwar sind die „inneren“ Wege, die uns Achtsamkeit und Sensibilität lehren und uns so aus der zähen und bedeutungsarmen Alltäglichkeit führen könnten, oberflächlich bekannt, doch laufen sie all unseren kulturell sanktionierten Handlungsroutinen zuwider. Die „äußeren“ Auswege, die sich bieten, sind faktische Simulationen emotional aufrüttelnder Erlebnisse in gesichertem Rahmen, wie z.B. im Extremsport, beim Bungee-Jumping oder ähnlichen Freizeitbeschäftigungen, in denen der Körper unmittelbar einbezogen wird. Ein anderer Weg besteht in der missbräuchlichen Umdeutung von kulturell sanktionierten Hand- lungsoptionen, wie dem Ausleben von Macht- und Gewaltaffekten im Straßenverkehr. Der am häufigsten beschrittene Weg aber besteht eben in dem Konsum von „Nachahmungen“ emotional erschütternder Ereignisse.

Im letzten Fall sind unsere Spiegelneuronen von zentraler Bedeutung. Sie werden aktiv, wenn wir andere beobachten, und vermitteln uns das Gefühl, die beobachteten Handlungen selbst vollzogen  oder die beobachteten Emotionen selbst durchlebt zu haben. Nur aufgrund dieser bemerkenswerten Eigenschaft der Spiegelneuronen sind wir überhaupt erst in der Lage, Empathie und Mitgefühl für unsere Mitmenschen zu entwickeln, da wir uns in sie und ihren Gefühlshaushalt hineinversetzen können. Sie ermöglichen uns ein mittelbares, zwischenmenschliches und manchmal sogar ein zwischenkreatürliches Lebendigsein.

Die Attraktion, die das Schreckliche, Erregende oder Abstoßende ausübt, hat ihre Wurzeln also offenbar in unserem Bedürfnis, am eigenen Leben und einer gemeinsamen Erfahrung des Lebendig-seins teilzuhaben, von der wir uns in unseren gesellschaftlichen Gegebenheiten zusehends abgeschnitten fühlen. Und je mehr das der Fall ist, je „verknöcherter“ unsere Seelen geworden sind, desto stärker müssen die gefühlsmäßigen Schläge sein, um uns das Gefühl der Lebendigkeit zurückzugeben. Das Phänomen der Abstumpfung, das bei dieser Reaktionskette ganz sicher eine bedeutende Rolle spielt, sei an dieser Stelle ausgespart.
Wenden wir uns vor diesem gedanklichen Hintergrund der Installation von Sigrun Jakubaschke zu. Der Ausstellungsraum des EINSTELLUNGSRAUM ist, genau wie unsere Vorstellung, unsere Computer und die Medienlandschaft, bevölkert von 'Viren'. Sie bestehen aus amorphen Körpern in grellbunten Farben und sind gespickt mit hölzernen Stacheln und gläsernen Splittern und Scherben. Einige liegen in Glasvitrinen, andere sind auf Stangen gespießt, die meisten aber sind vor und auf Spiegeln aufgestellt.

An einer Wand hängt ein Arbeits-Overall, der, gemeinsam mit dem Ausstellungstitel „Viren im Labor“ eine nicht erzählte Narration andeutet. Es geht nicht nur um die Zurschaustellung der Objekte, sondern es wird ein Interieur geschaffen, das einen Handlungsverlauf antriggert: Ein Labor, gerahmt im Schaufenster, in dem Krankheitserreger untersucht werden, vielleicht um einen Impfstoff zu entwickeln. Es deutet sich eine klassische, narrative Handlungsstruktur an.

Auch die Viren selbst sind weit davon entfernt, nur naturgetreue „Nachahmungen“ im aristotelischen Sinn zu sein. Vielmehr sind es überzeichnete, skulpturale „Illustrationen“ zum reduzierten Narrativ der Viren, die mit ihren grellen Farben und dem glitzernden Glas ein Blickfang sind, eine nach Aufmerksamkeit heischende Attraktion.

Die Scherben, mit denen sie gespickt sind, wirken zwiefältig: Berührte man sie, verletzte man sich - eine akute Gefahr, die von den messerscharfen Glaskanten ausgeht,

Der 03.Beitrag zum Jahresprogramm SPRIT  und SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
Präsentation

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