Der Geist in der Maschine - Eröffnungsrede zur Ausstellung "Marcel Große: in-ter-fe-renz" von Dr. Thomas Piesbergen
Die Ausstellung „in-ter-fe-renz“ von Marcel Große wurde gezeigt in der Gallerie Einstellungsraum e.V. im Rahmen des Jahrestprogramms [Keine] Wendemöglichkeit

Begegnet man der Kunst von Marcel Große, so drängt sich mit dem ersten Eindruck das Narrativ westlicher Wissenschaft auf, und damit auch gleich die gegenwärtig modern gewordene Annäherung von Wissenschaft und Kunst, die seit etlichen Jahren einen bedeutenden Raum im künstlerischen Diskurs einnimmt und immer wieder dialogische Kontexte hervorbringt.

Die Wissenschaft selbst tritt an die Öffentlichkeit mit visuell überraschend ästhetischen Ergebnissen, die mitunter als zeitgeistrelevante Dekoration unseres Alltags Verwendung finden, wie z.B. die psychedelisch anmutenden Verbildlichungen der Mandelbrot- oder Julia-Mengen oder Fotografien des Hubble-Teleskops.

Andererseits bedient sich die Kunst an wissenschaftlichen Denkmodellen und Gedankenexperimenten. Die Beschäftigung mit neuen thematischen Zusammenhängen wird gerne als „Forschung“ bezeichnet, auch wenn sie meist der wissenschaftlichen Methodik entbehrt. Künstler nutzen naturwissenschaftliche Verfahrensweisen. Sie stellen Versuchsanordnungen auf, die entweder gezielt Prozesse nachvollziehen, oder in ergebnisoffenen Verfahren selbsttätig Werke hervorbringen sollen.
Oder es werden mit ästhetischen Zitaten und Requisiten Szenarien geschaffen, die asso- ziative Komplexe ansteuern sollen, um in unserer Vorstellung den Nimbus des wissenschaftlichen Narrativs zur Entfaltung zu bringen.

Doch ob sich nun die Wissenschaft der Kunst annähert oder die Kunst der Wissenschaft - in beiden Zusammenhängen werden die Übereinstimmungen betont und fast will es scheinen, als wollten beide Sphären des menschlichen Bemühens nach Welterkenntnis am liebsten miteinander verschmelzen.

Dabei wird in der Regel aber übersehen, dass bereits die grundlegenden Voraussetzungen beider Sphären einander diametral entgegengesetzt sind.

Denn während die Wissenschaft immer utilitaristisch ist und ohne das Paradigma der Neutralität und Objektivität in sich zusammenbrechen würde, geht die Kunst immer von einem subjektiven Standpunkt aus, einem sinngebenden blinden Fleck, sie generiert Bedeutung, die sich keiner praktischen Anwendung unterordnet und die niemals neutral sein kann. Der Lyriker Günther Kunert sprach davon, dass die Kunst nutzlos sei, aber sinnvoll. Sinn und Bedeutung sind der Kunst inhärent, sind ihr intentioneller Bestandteil.
Der legitimen Wissenschaft hingegen kann beides nur von außen zugeschrieben werden. Denn wäre es die Intention wissenschaftlicher Forschung, nicht technische Effekte zu erzielen oder objektive Erkenntnis, sondern spezifische Sinn- oder Bedeutungszu- sammenhänge hervorzubringen, wäre sie bereits unwiederbringlich korrumpiert, wie z.B. die von totalitären Regimen gesteuerte Geschichtswissenschaft, die nicht mehr dem Erkenntnisgewinn dient, sondern eine Legende hervorbringen soll, um eine Ideologie zu rechtfertigen.

Das Narrativ der Wissenschaft in der Kunst kann also nicht mehr sein, als eine Metapher, ein Spiegel, der uns hilft, unser Wahrnehmungskontinuum in eine sinnvolle und bedeut- same Ordnung zu bringen. Das elementarste Mittel, das aber dem Menschen zur Verfügung steht, um die Wirklichkeit sinnvoll zu ordnen, ist die Narration, die sich die ver- schiedenen Narrative einverleibt. Narrationen wiederum erhalten ihre Kraft ausschließlich aus ihrer Eigenschaft, dass sie sich aus den essentiellen Bedingtheiten des Menschen speisen, aus der conditio humana.

Erkennt ein Rezipient in einem künstlerischen Werk, ganz gleich welcher Machart und von welchem Abstraktionsgrad, Aspekte seiner Selbst und der erfahrenen menschlichen Beziehungen wieder, also Aspekte der conditio humana, entsteht Resonanz. Das Werk spricht zu ihm. Bleibt diese Resonanz aus, bleibt es stumm, ist es für ihn irrelevant. Das Gleiche gilt für den Künstler. Der einzige Grund, etwas hervorzubringen, das ohne praktischen Nutzen ist, besteht auf der Ebene der Bedeutung, also auf der subjektiven Narration, die wiederum notwendig aus der conditio humana hervorgeht. Selbst wenn dieser Zusammenhang nur erahnt wird oder sogar unbewußt bleibt, liegt er notgedrungen aller künstlerischen Gestaltungsabsicht des Menschen zugrunde.
Dementsprechend begegnet uns in Marcel Großes Ausstellung auch kein akuter Prozess, sondern lediglich seine Repräsentation, gegliedert in eine chronologische und damit narrativ interpretierbare Form.
Präsentation
Vernissage
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