Um diesen „Benutzerwiderstand“ zu minimieren, werden die Navigationsgewohnheiten der Nutzer aufgegriffen. Entsprechend werden Gestaltungsschemata übernommen, die den Nutzern vertraut und deshalb schnell erfassbar sind. So kann man sich bei dem Besuch einer neuen Internetseite in der Regel in kürzester Zeit orientieren, denn die Menüleiste befindet sich fast immer in der Kopfzeile, das Impressum am Seitenende, die Eingabemasken von Benutzername und Passwort oben rechts oder links etc.
Durch diese Schematisierung wird die Geschwindigkeit erhöht, mit der der Benutzer navigieren, rezipieren und konsumieren kann, die Individualität der Oberflächengestaltung nimmt hingegen reziprok ab.

Selbst die akustischen Oberflächen in postindustriellen Kontexten werden immer mehr normiert und „stromlinienförmig“ gestaltet. Im Bereich der Popmusik liegen dazu inzwischen umfassende Untersuchungen vor, vor allem die Studie „Measuring the Evolution of Contemporary Western Popular Music“ von Joan Serra et.al. aus dem Jahr 2012.

Da die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörer immer kürzer wird, dürfen sie nicht mit Tonfolgen und Arrangements konfrontiert werden, die ihre Hörgewohnheiten durchbrechen, sondern mit Phrasen, die ihnen bereits vertraut sind, deren Reiz lediglich in minimalen Variationen eines bekannten Themas besteht.
So sind neue Produktionen bestenfalls schnell eingängig, können sofort mitgesummt werden und suggerieren dem Hörer eine gewisse Vertrautheit und Nestwärme. Diese Mechanismen werden von der Musikindustrie gezielt ausgenutzt und kulminieren in Erscheinungen wie dem „Millennial Whoop“, der wiederholten Abfolge des fünften und dritten Tones einer Dur-Tonleiter, die in nahezu jedem aktuellen Popsong genutzt wird.
Selbst in der Musik führt also die gesellschaftliche Beschleunigung zu einer Normierung der Werke und einem Verlust von Individualität.
Doch wie agiert nun der Mensch in einer Welt, in der er von immer eintönigeren, makellosen Oberflächen umgeben ist, von einem schönen Schein, der derart gestaltet ist, das die Geschwindigkeit der Rezeption und des Konsums auf Kosten markanter, origineller Anhaltspunkte permanent erhöht wird?

Begreifen wir die Identität des Menschen mit einem relationalistischen Verständnis, also als das Geflecht
seiner Beziehungen zu seiner Umwelt, und beobachten wir gleichzeitig eine stetig zunehmende Normierung dieser Umwelt bis hin zur völligen Eintönigkeit, bedeutet das,
daß es mit zunehmender gesellschaftlicher Beschleunigung immer schwerer fällt, eine klar abzugrenzende Individualität zu etablieren.

In der westlichen Gesellschaft, in der der Individualität jedoch ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, muß diese Entwicklung zwangsläufig eine schizophrene Identität hervorbringen, oder in ein Bedürfnis nach Widerstand münden, in einem Verlangen nach Oberflächen, an denen man sich reiben kann, in einem Hunger nach markanten und einmaligen Anhaltspunkten, zu denen man sich in Beziehung setzen und anhand derer man sich in der Wirklichkeit verorten und die eigene Identität gegenüber anderen abgrenzen kann.

Kehren wir an diesem Punkt zurück zu den Automobilen und wenden wir uns den Arbeiten Dorothea Goldschmidts zu:

Auf den Bleistiftzeichnungen des aktuellen Werkkomplexes, der in der Ausstellung „BREAK“  gezeigt wird, sehen wir verschiedene Produkte der Automobilindustrie, deren Formen Ergebnis ein normierenden Gestaltung sind.
Sie sind frontal mit leichter Aufsicht abgebildet, eine Perspektive, die auch gerne in der Werbung genutzt wird, um die Wagen als besonders kraftvoll und bullig erscheinen zu lassen, also auch, um ihre Leistung und die damit erreichbare Geschwindigkeit zu betonen. Die Umgebung, in der sie zweifellos gesta
nden haben, ist ausgeblendet und so fokussiert sich der Blick ohne erzählerische Anhaltspunkte auf die Objekte selbst.


Doch statt der Zeugnisse hochtechnisierter Ingenieurskunst mit der üblichen Neuwagen-Hochglanz-Optik, die mit diesem Inszenierungsmuster sonst einhergeht, sehen wir auf den Bildern Zeugnisse der Zerstörung.

Keiner der gezeichneten Wagen wird aus eigener Kraft auch nur einen einzigen Zentimeter mehr fahren können. Die Maschinen, die ein Symbol der normierten, mobilisierten und beschleunigten Gesellschaft sind, sind durch ein jähes, gewalttätiges Ereignis, ein Feuer, zum endgültigen Stillstand gekommen, sind in einer metaphorischen Sackgasse gelandet.

Doch trotz dieses Stillstands können wir eine zeitliche Bewegung aus den Bildern lesen. Sie geben deutlich Zeugnis von einem Davor in linearer Raserei, einem gewalttätigen Einschnitt, dem Nullpunkt, und von einem Danach.

Die 7. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit, 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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