„Von Selbstentblößung und Zurschaustellung: Der nackte Körper und die Macht" Dr. Thomas Piesbergen zur Ausstellung „AUTO NO ME!“ von Pachet Fulmen

Um das Verhältnis des modernen Mannes zur Sexualität zu erläutern, schrieb der amerikanische Dramatiker Edward Albee in seinem Theaterstück „The Zoo Story“ über Spielkarten mit pornographischen Abbildungen: „It’s that when you're a kid you use the cards as a substitute for a real experience, and when you're older you use real experience as a substitute for the fantasy.“
Übersetzt heißt das ungefähr: „Als Kind hast du die Spielkarten als Ersatz für das wirkliche Erlebnis benutzt, und jetzt, wo du älter bist, benutzt du die wirkliche Erfahrung als Ersatz für deine Phantasie.“(1)

Nach Edward Albee benutzen also Männer, die noch keine Möglichkeit haben, ihr Begehren im realen Zusammenhang auszuleben, zunächst visuelle Projektionsflächen, anhand derer sie ihre Phantasien entwickeln können. Dadurch entsteht ein so wirkmächtiger, von vorgegebenen Bildmaterialien definierter Komplex des Verlangens, dass die so geprägten Männer später nicht imstande sind, unmittelbare reale Erfahrungen zu machen.

Natürlich geht es bei den Abbildungen, von denen Albee spricht, um pornographische Darstellungen von weiblichen Körpern. Wenn also ein durch Pornographie geprägter Mann mit einer Frau schläft, wird er nicht ihr in ihrem Körper begegnen, sondern in ihrer Körperlichkeit Anlässe suchen, die stimulierenden Bilder und die damit verbundenen Phantasien herauf zu beschwören.
Die Pornographie ist also nicht mehr Ersatz für die Begegnung mit der Frau, sondern die Frau nur noch ein Stimulanz pornographischer Vorstellungen, die zum eigentlichen, verinnerlichten Objekt des Verlangens geworden sind. Mit seiner Denk- und Handlungsweise ordnet der Mann die Frau mittels der pornographischen Bilder seinen sexuellen Phantasien unter, wodurch ein hierarchisches Machtgefüge entsteht.

Das so entstandene Verhältnis lässt sich gut durch die strukturalistische Theorie über das Verhältnis von Mensch und Welt beschreiben. Nach Claude Levi-Strauss ist jeder menschlichen Kultur eine Struktur von Bedeutungen zu eigen, die alle Verhältnisse zwischen Menschen und Dingen terminiert, also auch allen Dingen ihren Wert und ihre Bedeutung zuordnet.

Auf diese Weise wird nicht nur der Wert aller Dinge bestimmt, sondern auch die  Bedeutung von Menschen.
Will also ein Mensch für einen anderen relevant sein, so muss er dessen Werteschema entsprechen.
In unserem speziellen Fall muss sich also die Frau an die pornographische Bildlogik des entsprechend geprägten Mannes anpassen, um für ihn relevant zu werden. Sie muss sich dem männlichen, pornographisierten Blick unterwerfen.
Dieser Blick wiederum verlangt die Herrschaft über den weiblichen Körper, vor allem die Kontrolle über dessen visuelle Zugänglichkeit. Demzufolge ist eines der großen Werkzeuge des Mannes zur Beherrschung der Frau, seine Verfügungsgewalt über die Entblößung oder Verhüllung des weiblichen Körpers.

Dieser Gedankengang basiert zunächst auf dem oben genannten Zitat aus den späten 50er Jahren in den USA. Es bleibt die Frage nach Macht und Nacktheit im Spannungsfeld der Geschlechter in anderen Epochen. Dazu möchte ich mich zunächst den Ursprüngen der menschlichen Kultur zuwenden.

In welchem Verhältnis Mann und Frau in der Altsteinzeit zueinander standen, ist nur sehr vage zu fassen. Aktualistische Vergleiche lassen vermuten, dass mit einer weitgehenden Gleichberechtigung zu rechnen ist. Die Befunde von Knochen legen eine homogene Arbeitsteilung nahe, da sowohl Männer als auch Frauen über einen sehr viel kräftigeren Körperbau verfügten, als heute, und auch bei Frauen Abnutzungserscheinungen auftraten, die man dem Speerwerfen zuschreibt, einem Aspekt der Jagd, die bislang als männliche Domäne galt.(2) Auch Grabbefunde, die sonst ein guter Indikator gesellschaftlicher Differenzierung sind, geben ein homogenes Bild (3).
In der sog. Plakettenkunst des Magdalenien (ca. 18.000-12.000 v. Chr.) werden auf kleinen, realistischen, manchmal karikaturesken Kratzzeichnungen sowohl Männer als auch Frauen in der gleichen Stellung gezeigt. die als Adorantenhaltung bezeichnet wird, also in einer anbetenden Stellung (4).
Beide Geschlechter werden nackt dargestellt. Hier begegnet uns womöglich erstmals der Topos der rituellen Nacktheit, die uns vor allem aus dem Antiken Griechenland bekannt ist.
Die Kleinplastiken des Jungpaläolithikums zeigen aber ein weit weniger ausgewogenes Bild. Hier dominieren die Abbildungen von Frauen mit deutlichen Kennzeichen der Schwangerschaft und stark betonten Geschlechtsteilen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei diesen Figurinen um Darstellungen einer universellen Muttergottheit handelt, das Prinzip der Fruchtbarkeit, die nicht nur das Fortbestehen der Menschen sichern soll, sondern das Fortbestehen des Lebens schlechthin (5).
Die  10. Ausstellung im Jahresprogramm Autonom? des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2022
Präsentation
Vernissage mit Elementen der Performance
back
next
Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek,