Und über alles legt sich, wie es John Banville recht sarkastisch in seinem Roman Der Unberührbare formuliert, „jenes leise Selbstbeweihräucherungsgetöse, das von Natur aus die kollektive Stimme der Trinker am Busen der Kunst ist.“

Es ist ein Privileg junger Künstler, die noch im Begriff sind, diese Strukturen kennen zu lernen und die sich bisher weder eine feste Strategie zum Selbstschutz zurechtgelegt haben, noch von den Strukturen korrumpiert worden sind, sich auf eine kritische und frische Art und Weise mit ihnen auseinander zu setzen.

Als sich Laura Sigrüner und Utz Biesemann überlegten, gemeinsam auszustellen, waren es zunächst  Aspekte des Materials und gewisser Motive in ihren Werken, die ihnen das Gefühl gaben, hier käme etwas zusammen, was miteinander in Dialog treten kann. So verweisen die Arbeiten beider auf die Tierwelt, die sie als einen Gegenpol zur lärmigen Welt der Menschen verstehen; und es finden in den Arbeiten beider Vogelfedern Verwendung.

Doch jenseits dieser oberflächlichen Schnittpunkte möchte ich eine weitere, viel tiefergehende Gemeinsamkeit beider Werkkomplexe unterstellen, nämlich genau jene Auseinandersetzung mit dem Getöse der Kunstwelt und die Suche nach einem autarken Selbstverständnis, nach der Möglichkeit, sich davon frei zu machen und zu einer unabhängigen Haltung zu finden; die Suche nach der Stille und dem eigenen Ton im Getöse der Kunst - oder der Versuch, dieses Getöse sogar zu übertönen.

Die Strategie, der Laura Sigrüner folgt, ist die minimalistische Rückbezüglichkeit des Werkes. Was geschieht, wenn ein Kunstwerk auf sich selbst verweist, sich selbst befragt, sich von dem Betrachter und von dem ganzen, es umgebenden Kontext abwendet?
In vorangegangenen Werken verwirklichte Laura Sigrüner diese Rückbezüglichkeit häufig mit Licht, mit Raumsituationen oder elektrischen Schaltungen, so z.B. mit Lampen, die nichts anderes als ihre eigene Stromquelle oder ihren eigenen Schalter beleuchten.

In ihrer Arbeit zum BA setzte sich Laura Sigrüner intensiv mit den Zusammenhängen von Bildhauerei und Fliegenfischen auseinander und fand darüber zu einem neuen formalen Element: der Angel.
Was angelt die Angel, wenn weder Fisch noch Angler da sind, wenn der Köder nur den Köder ködern kann? Das formale Ergebnis ist die in sich zurückgebogenen Angel, die sich selbst am Haken hat. Doch im Gegensatz zur sprichwörtlichen Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt, ist dieser Rückbezug nicht irrelevant und wirkungslos, denn das, was entsteht, ist eine Form, die zwar erstarrt und regungslos scheint, aber tatsächlich unter höchster Spannung steht.
Die Objekte scheinen sich nicht mitteilen zu wollen, scheinen in sich selbst zu ruhen, doch jeder Betrachter mit nur ein wenig Vorstellungsvermögen nimmt die Spannung, die Energie wahr, die in ihnen schlummert, die sicherlich einen Ton hervorbringt, wenn man an der Sehne zupft, oder die, wenn sie durch ein Reissen der Angelsehne freigesetzt wird, einen für den Betrachter sehr empfindlichen Effekt haben könnte.

So, wie diese Arbeiten auf sich selbst bezogen sind, ist auch der Betrachter ihnen gegenüber auf sich selbst zurückgeworfen. Einerseits sind sie nach innen gewandt und treten in keinen offenen Dialog mit dem Betrachter, der vor ihnen steht wie vor etwas, das schläft und träumt, dessen Traumbilder er nicht erraten kann. Andererseits zitieren sie nicht aus bereits bekannten Bild- und Symbolwelten und bieten dem Betrachter keine einfache Möglichkeit, sie in sein „Kunst“-Bezugssystem zu integrieren.
Die Kunst genügt sich selbst und gewinnt, durch totale Reduktion und Selbstreferenz eine ungeahnte Kraft.

Der Weg, den Utz Biesemann gewählt hat, verhält sich dazu komplementär: Er untersucht mit seinen Arbeiten unter anderem das hierarchisch-lineare Verhältnis zwischen Künstler und Betrachter und versucht es aufzulösen. Gleichzeitig ist er darum bemüht eine in seinem Arbeitsumfeld von den Autoritäten der Kunsterzeugung ausgegebene Devise zu unterminieren, nämlich sich im Ausdruck zu beschränken und auf eine gebündelte Bewegung seines Werkes hinzuarbeiten.

Der im EINSTELLUNGSRAUM gezeigten Arbeit geht ein Projekt voraus, in dem er Bekannte bat, ihm 3 kunstfremde Objekte zu geben, aus denen er im Bricollage-Verfahren Objekte bastelte oder Performances realisierte. Zentraler Gedanke war, nicht den Betrachter, sondern den Künstler in die Position zu versetzen, Dinge deuten zu müssen und Bezüge herzustellen und diesen Prozess transparent zu machen. Einzelne Elemente aus diesem Werkkomplex finden sich auch in der Installation „noch lauter“ wieder.

Neben der Abkehr von der hierarchischen Zuweisung der Interpretationspflicht, liegt Biesemann auch jeweils daran, aus dem formal geschlossenen Zusammenhang eines Werks auszubrechen. Das erreicht er, in dem er seinen Arbeiten Details hinzufügt, deren mögliche inhaltliche Bedeutung ihm selbst ganz bewußt völlig unklar sein kann. Diese Details haben einerseits die Funktion, den Betrachter zu irritieren und eine geschlossene Interpretation möglichst zu unterwandern.
Andererseits will Biesemann in diesem Zusammenhang die Kunst aus der Kontrolle des Künstler entlassen, indem er eine Komplexität provoziert, die eine ganze Bandbreite an Betrachtungsweisen und Bezugnahmen ermöglicht, die sich jenseits einer ursprünglich intendierten Sinnhaftigkeit und Ausdrucksabsicht entfalten sollen. Er selbst spricht gerne von einem „Bewußtsein, rechts oberhalb des Normal- bewußtseins“, das er bestenfalls auf diesem
Wege wecken möchte.

Die 07. Ausstellung im Jahresprogramm Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß (M.Claudius, 1799)
des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 

Vernissage
back
next
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek