Die Stille im Getöse der Kunst - Thomas Piesbergen über die Ausstellung „noch lauter!“ von Utz Biesemann und Laura Sigrüner .
Eine Ausstellung im EINSTELLUNGSRAUM e.V. zum Jahresthema "Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß." (Matthias Claudius,1799) 02.09.2015

Als Matthias Claudius seinem Sohn 1799 den Ratschlag gab, das Geräusch in den Gassen zu meiden, verstand er das „Geräusch“ als Metapher für fruchtloses Geschwätz in der Öffent-lichkeit und lautstark ausgetragene ideologische Streitereien, aus denen, nach seinem Dafürhalten, nie etwas Gutes resultiere.

Geräusche dieser Art, ideologisch oder persönlich motivierte Selbstdarstellungen, gezielt gestreute Falschinformation, undurchdachte und nicht fundierte Behauptungen, populistisches Schwadronieren, rhetorische Schachzüge, die nur dazu dienen, das intellektuelle Territorium abzustecken oder eigene Pfründe zu verteidigen, Störungen der persönlichen Befindlichkeit, die verbal auf anderen, stellvertretenden Schlachtfeldern ausgetragen werden, das „Bullshitting“ der Tagespolitik, all die unzähligen frucht- und substanzlosen Varianten menschlicher Äuße- rungen, die nicht darum bemüht sind, aufrichtige Mitteilungen zu machen, finden wir auf jedem Feld des sozialen und kulturellen Lebens.

Und natürlich finden wir sie auch in der Kunst. Wie alle anderen Äußerungen des menschlichen Tuns, kann auch die Kunst nicht nur als die unabhängige Gesamtheit der hervorgebrachten „Werke“ betrachtet und verstanden werden, sondern nur in ihrer ganzen, vielschichtigen Kontextualität, in dem kommunikativen Gewebe, das sie umhüllt. Denn es ist nicht zu leugnen, daß die Rahmenbedingungen immer auch rückbezüglich auf die Werkprozesse und die Werke selbst einwirken.

Die Bezüge, in die die Kunst eingebunden ist, und die auch immer ihren Niederschlag im Fluidum der Kommunikation über und um sie haben, reichen von der hehren Welt der Ideen und des mal mehr, mal weniger der Mode unterworfenen Diskurses bis hin zu den profanen und unerbittlichen Niederungen der ökonomischem Notwendigkeiten, denen sich der Künstler beugen muß, und welche in all den Lebensbereichen fest verankert sind, die sich zwischen diesen Extremen entfalten.
Und wie alle Netze von Bezüglichkeiten verdichten sich auch diese Kontexte durch das fortdau- ernde Handeln aller Beteiligten zu Strukturen, die wiederum ihre eigenen Symbolsysteme hervorbringen und sich wiederum durch diese Systeme ordnen und reproduzieren. Sowenig die Kunst hier eine Ausnahme bildet, sowenig bildet sie eine Ausnahme, wenn es um die Herausbildung von Hierarchien in diesen Strukturen geht und um die Nutzung der damit verkünpften kommunikativen Symbolsysteme zum Erhalt und Ausbau von Machtpositionen innerhalb dieser Hierarchien.

Es handelt sich leider um eine traurige aber unleugbare Tatsache, daß zwar die Kunst selbst Freiheiten bietet und den Bereich der Freiheit wenigstens auf der Informationsebene stetig erweitert. Die gesellschaftliche Nische hingegen, die man der Kunst gewährt und in die sie wie in ein Korsett eingeschnürt wird, ist von gefestigten hierarchischen Strukturen und institutionalisierter Deutungshoheit, von Modeströ- mungen und finanziellen Interessen geprägt.  Kaum ein Künstler der nicht unter diesen Strukturen leidet und den nicht das Schlagwort „Selbstausbeutung“ auf ökonomischer oder moralischer Ebene durch den Alltag begleitet.

Und natürlich werden diese Strukturen permanent rekapituliert und gefestigt durch ununterbrochenes „Geräusch auf der Gassen“.

Kunstsammler und Galerien preisen die Bedeutung ihrer Künstler an, nicht selten nur, um den finanziellen Wert ihrer Werke und das eigene Standing auf dem Markt zu steigern; Journalisten und Professoren halten mit einer einschüchternder Selbstsicherheit Gericht über deren künstlerischen Wert, oft nur, um ihre eigene Machtposition der Deutungshoheit zu festigen; Künstler unterwerfen sich mal mehr, mal weniger freiwillig dem Zwang sozialer Integration in die Kreise von Sammlern, Galeristen, Kuratoren und Kritikern, passen sich deren Konventionen der Konversation an und tragen so zu einem Erhalt dieser Strukturen bei.

Schließlich gibt es am unteren Ende der Hierarchie der Kunstwelt noch den Betrachter, der sich in dem Licht der Kunst und des Kunstdiskurses sonnen darf. Indem er seine Aufmerksamkeit auf das lenkt, was ihm als künstlerisch wertvoll vorgesetzt wird, lernt er, es in einer Weise zu interpretieren und darüber zu sprechen, die als die einzig angemessene und stimmige postuliert wurde, wodurch er so die Deutungshoheit der Kunstfunktionäre akzeptiert, bestätigt und das gesamte System sanktioniert, das sich um den schlichten kreativen Akt herum gebildet hat.
Die 07. Ausstellung im Jahresprogramm Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß (M.Claudius, 1799)
des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 

Vernissage
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