3. Die Revolution der Natur Im Gespräch, das ich zur Eröffnung der Ausstellung mit Antje Bromma und Hans Brückner führte, hatte ich den Aspekt der Verwendung von Abfall als Ready-made gegen das Schöpferische abgegrenzt, indem ich auf die Abbildung des menschlichen Körpers als Ebenbild Gottes in der christlichen Kunst bzw. der Götter in der antiken Kunst verwies. Ich bezog mich konkret auf die beiden Reliefs am Campanile des Florentiner Doms, wo Giotto den Bildhauer beim Herausschlagen der menschlichen Figur auf einem Marmorblock in Analogie zu Gott darstellt, der Adam aus Lehm bildet. Die plastische Abformung des Äußeren, retinal wahrgenommenen Menschenkörpers ist in der westlichen Kunst spätestens mit der Fotografie niedergegangen. Parallel entwickelten sich damals außerdem Panoramen und Dioramen mit konfektionierten Menschendarstellungen, die mit zunehmender Verbes-serung der Filmtechno- logie mehr und mehr durch Statisten aus Fleisch und Blut bei den Dreharbeiten abgelöst wurden. Die Vorführung der Filme im Kino reproduziert sie unbegrenzt häufig. Heute arbeiten Animationsfilmer, Entwickler von Videospielen und Mediziner mit digitalen Abbildern und Animationen, die Menschenkörper in beliebiger Anzahl reproduzieren. Die in den totalitären Staaten des 20. Jhds. beliebten Kolossalfiguren und die Massensze- nen, die mit der Wiederbelebung der Historienmalerei aufkamen, wurden angesichts der realen Massenaufmärsche jedoch nur zu pseudoschöpferischen Darstellungen und entspre- chend obsolet, wie Boris Groys am Beispiel Stalins13 gezeigt hat, der allerdings das ästheti- sche Gesamturteil und die totale Steuerung des Lebens und der Produktion an sich gerissen hat. Diese These führte zu Unmutsäußerungen. Obwohl die Künstler heute überhaupt nicht mehr im Sinne eines Schöpfertums tätig sind, scheint sich noch die Vorstellung erhalten zu |
haben,
dass Künstler nach wie vor naturschöpferisch tätig sind.
Aus diesem Grunde sollten nicht nur die ausgestellten
Werke, sondern auch dieser Aspekt zur Diskussion gestellt
werden. Ich würde mich freuen, wenn hoffentlich bald bei
vorhandenen Ressourcen auch ein Blog des EINSTELLUNGSRAUMs
eingerichtet werden könnte, um solche Fragen zu
diskutieren. Für mich jedenfalls stellen sich die hier angedeuteten Zusammenhänge - die der Verwandlung von Abfall in Kunstobjekte, die des Umkippens von Fülle in Mangel und die der Problematik des Schöpferischen - als Zeichen einer anhaltenden Krise der Repräsentation dar. Sie münden in die Erkenntnis, dass es neben der Biopolitik (Gen- und Medizintechnik) einen zweiten Strang der Entwicklung und zwar den der biologischen Revolution gibt, die vom Menschen ausgelöst wurde, nun aber ohne eine kulturelle Intention zu ungeplanten Veränderungen führt, deren Folgen noch nicht absehbar sind. In dieser Situation können Künstler die Katastrophe sichtbar machen, sofern es ihnen gelingt, den Verhältnissen die Hülle abzustreifen. |
Die 03. Ausstellung im
Jahresprojekt HYBRID
des EINSTELLUNGSRAUM
e.V.
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Vernissage |
13 Boris Groys: Gesamtkunstwerk
Stalin, München/Wien 1988 |
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Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg | |
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