Zwar zielen all
diese Handlungsweisen und Verhaltensmuster auf eine
Anerkennung in einem zwischenmenschlichen Zusammenhang ab,
tatsächlich aber begegnet man, unter Vorspiegelung einer
Wunschpersönlichkeit und idealer Körperlichkeit, ebenso nur
anderen Vorspiegelungen. In dem die Individuen versuchen,
ihre soziale Isolation zu überwinden, findet durch die
Mechanismen der digitalen Öffentlichkeit de facto eine
zunehmende Trennung und Vereinzelung statt. An die Stelle
des Sichtbar-Werdens ist eine das Individuum verschleiernde
Pornographisierung getreten. Die Selbstentblößung wird, sobald sie den Bedingungen der digitalen Öffentlichkeit angepasst ist, paradoxerweise also zur Selbstverhüllung. Dementsprechend ist auch die Suche nach sich selbst in einer unmittelbaren Begegnung mit dem Anderen nicht mehr möglich. Das ist das kulturelle Bedeutungsfeld, das Pachet Fulmen mit ihren Bildern befragt. Es geht in ihnen um den weiblichen Körper, dessen Selbstwahrnehmung und die Bedin-gungen seiner Sichtbarkeit in einer Welt sich wandelnder Macht- und Medienstruk-turen. Ein Merkmal vieler Bilder ist die Fleischlichkeit der Körper, die ihrer Haut beraubt scheinen. Es scheint, als wäre der Versuch unternommen worden, den Körper wieder unmittelbar erfahrbar zu machen, indem man ihm die Haut, die vorrangige Projektionsfläche des pornographisierten Blicks, abzieht. Was bleibt sind Muskulatur, Gefäße, Blut, Nerven, das Gefäß unserer Gefühle und Selbstempfindungen - und es bleiben Verweise auf Prozesse, die dem weiblichen Körper vorbehalten bleiben, wie Geburt und Menstruation. Man darf diesen Aspekt der Bilder wohl lesen als ambivalentes Chiffre für die Verletzlichkeit, die Selbsterkundung und schließlich Rückeroberung des eigenen Körpers, ebenso wie als stolze Selbstentblößung weiblicher Körperlichkeit im Sinne der minoischen Entblößung der Brüste. Zwei andere Aspekte zeigen sich auf einem Selbstportrait der Künstlerin, das angelehnt ist an ein Portrait des Journalisten Egon Erwin Kisch von Christian Schad aus dem Jahre 1928. Auf Schads Bild sieht man Kisch mit nacktem Oberkörper posieren; deutlich dabei zu sehen sind dessen Tatoos, die sich einer eindeutig rassistischen und sexistischen Bildsprache bedienen. |
Wir finden auf
diesem Bild die stolze Selbstentblößung des Mannes, sowie
seinen hierarchischen, bildgebenden Blick auf die
beherrschten Gesellschaftsgruppen, in diesem Fall Frauen in
pornographisierten Posen, Afro-Amerikaner als Witzfiguren
und Asiaten als Mordopfer. Männliche Selbstdarstellungen dieser Art sind für uns nichts Ungewöhnliches, doch sobald eine Frau sich in diese selbstentblößende Pose der patriarchalen und kolonialen Machtdemonstration versetzt, sind wir irritiert. Wir werden notgedrungen zu der Frage gezwungen, wem wir, unserem unreflektierten Empfinden nach, diese Selbstinszenierung zubilligen. Andere Bilder verweisen auf rituelle Nacktheit. Sie zitieren sub- und popkulturelle Bildthemen, die ihren Ursprung im Wicca-Kult haben. Die dargestellten Frauen werden in einen mystischen und märchenhaften Kontext überführt, in dem ihre Nacktheit Ausdruck ihrer übernatürlichen Macht ist. Ganz bewusst wird in diesem Zusam-menhang auf ein gegebenes visuelles Repertoire zurückgegriffen, das vom Kitsch des femininen Mainstreams geprägt ist. Diese digitalen Bildwelten spielen wiederum eine wichtige Rolle bei der Selbstverortung und der Identitätsbildung junger Frauen und Mädchen. Eine großformatige Arbeit zeigt eine nackte, bzw. gehäutete Frau, die sich ein Handy vor die Brust hält - fast scheint es mit ihrem Körper verwachsen und an die Stelle ihres Herzens getreten zu sein. Es bleibt offen, ob sie sich selbst, oder den Betrachter damit fotografiert. Doch während sie das Kommunikationsmedium in den Mittelpunkt ihrer Selbst rückt, ist sie völlig isoliert. Nur ihr Körper leuchtet roh und rot und präsent in einer weißen Leere, die sie von allen Seiten umschließt. Das Fleisch lebt, aber es bleibt allein in einer digitalen Welt. Ein letztes Bild, auf das ich hinweisen möchte, zeigt ein Liebespaar in inniger Umarmung. Doch während die Frau erneut in ihrer ganzen Fleischlichkeit anwesend ist und dafür bereit scheint, ihrem Partner unmittelbar zu begegnen, ist er nur ein schwarzer Schemen, ausgefüllt von Kürzeln und Parolen aus dem Repertoire der Chats und Kommentare auf Facebook, Whatsapp & Co. Von ihm ist nichts geblieben als diese sprachliche Maskerade, hinter der er sich verbirgt und die er zudem als Machtinstrument nutzt. |
Die 10. Ausstellung im Jahresprogramm Autonom?
des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2022 |
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Vernissage mit Elementen der
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