Was
Berge in die Ebene zieht und was sie
aufhält Johannes Lothar Schröder über ZuWarten von Ina Schlafke 16.10.2008 Drei verschiedene
Werkgruppen von Ina Schlafke, die Sie hier im
EINSTELLUNGSRAUM sehen, bestimmen die neunte Ausstellung
zum Jahresthema BREMSEN. Dieser Raum wird von
hochformatigen Landschaftszeichnungen und räumlichen
Arbeiten mit Zweigen und Ästen in Beschlag genommen.
Außerdem ist eine Installation auf dem Boden des
Lichtschachts im Keller zu besichtigen. Zusätzliche
Informationen über die Landschaft und die Kultur der
Bergbauern im Berchtesgadener Land an der Grenze zum
Salzkammergut sind an zwei Stellen ausgehängt.
I. "Alles will zu Tal" Schlafkes
Zeichnungen und Installationen sind Ergebnisse der
Wahrnehmungen und Forschungen in einer Landschaft des
Übergangs vom Hochgebirge ins Voralpenland. Ein
zentraler Satz im Gespräch mit der Künstlerin war:
„Alles will zu Tal“, und um zu verstehen, was damit
gemeint ist, möchte ich Sie bitten, zunächst einen Blick
auf die sechs Stangen zu werfen, die an der Längswand
aufgestellt sind. Im genauen Augenschein sieht man, dass
die rohen unbearbeiteten etwa gleich langen Äste gar
nicht direkt an der Wand lehnen, sondern diese mittels
einer Abdachung berühren. Diese Kappen, welche die
Stangen behüten, werden durch Kalksand zusätzlich
beschwert, so dass das Gewicht der schräg stehenden
Stangen und der darauf ruhenden unbefestigten
Holzscheite mit dem Sand ausbalanciert wird. Alle sechs
Objekte bleiben stehen, weil die Schwere die
Verbindungen der Teile verstärkt.
Schwerkraft und Gleichgewicht Damit sind wir bei
den zentralen Aspekten dieser Ausstellung: Schwerkraft
und Gleichgewicht. Mit diesen Begriffen im Kopf nähert
sich die Künstlerin einem Ökosystem und einem geolo-
gischen Gebilde in der Nähe der Baumgrenze mit Forst-
und Weidewirtschaft, mit Sommergästen und Skiurlaubern.
Hier ist der Fels unter einer Vegetation aus Gras,
Kräutern, Stauden, Büschen
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oder Bäumen verpackt. Diese hält die Krume
zusammen und schützt die darunter liegenden Geröll-, Sand-
und Gesteinsschich- ten vor Erosion. Reißt diese
Schutzschicht durch äußere Einwir- kungen auf, können
Regen, Schnee und Schmelzwasser sowie
Temperaturschwankungen die pflanzliche Decke mitsamt dem
frei liegenden Geröll zu Tal befördern. Muren, Schnee-,
Schlamm- und Gerölllawinen gefährden dann innerhalb
kürzester Zeit die Lebensgrundlage der dort lebenden
Menschen. Mit diesem Szenario möchte ich an die doppelte
Bedeutung des Titels dieser Ausstellung „ZuWarten“ zu
erinnern; denn warten, heißt ja nicht nur geduldig zu
verharren, sondern auch tätig zu sein, um Dinge oder in
diesem Fall eine Landschaft zu pflegen und in Schuss zu
halten, damit sie brauchbar bleiben. Es geht also darum,
den Verschleiß aufzuhalten, und - im Fall dieser
Berglandschaft - ihren Abbau durch menschliche
Einwirkungen, d.h. Beachtung der natürlichen Kräfte, zu
verlangsamen. II. Bremsen durch Zeichnen 1. Künstlerische Methoden des Verlangsamens und Beschleunigens Während eine sinnvolle Bewirtschaftung der Alpen das Abtragen der Berge bremst, ist es für das Verständnis der Geologie der Berge notwendig, sich die Faltungs- und Erosionsprozesse beschleunigt vorzustellen. Was Ina Schlafke beschäftigt, sind die Vorgänge beim Abtragen der Berge, die sie durch Skizzen zu erfassen versucht. Wenn sie als Beifahrerin durch die Landschaft fährt, macht sie in einer Situation, in der andere Zeitgenossen ihre Kameras zücken würden, Skizzen. Diese unmittelbaren gesti- schen Reaktionen auf ihre Umgebung werden später zum Ausgangspunkt von Zeichnungen. So tut die Künstlerin genau das, was im gegenwärtigen Kunstbetrieb vermieden wird, wo fast alle Äußerungen zunächst optische Systeme durchlaufen und digital bearbeitet werden, ehe sie uns als Kunst vorgestellt werden. Wenn sie aus dem Auto in der Vorbeifahrt eine Sequenz von Ansichten der Landschaft aufschnappt und diese simultanen Ansichten auf einem Blatt zeichnerisch zusammenfasst und verdichtet, geschieht das aus der Geschwindigkeit, doch erzielt wird ein Effekt der Verzögerung, der eine Kamera überfordern |
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