![]() Zeichnung nach
Wagenlenker von Delphi,
um 470 v. Chr. Bronce, Höhe 180 cm |
Es geht also um
Potentialität ... Ausgehend von dem Eindruck des Aufbruchs, indem nicht gezeigt wird, was passiert, sondern was man erwartet, kann der Betrachter dieses Szenario umso drohender, gefährlicher und prachtvoller imaginieren. Ein typischer Trick der bildenden Kunst. (Lessings Laokoon-Aufsatz und das Problem der Darstellbarkeit) Lessing hat sich darüber Gedanken gemacht, was zu den Bildprogrammen der bildenden Kunst gehören kann und was besser nicht dazugehören sollte, weil's nicht so gut funktioniert. Lessing schrieb 1766 in seinem Laokoon-Aufsatz über die Grenzen der Malerei und Poesie von den speziellen Bedingungen, in denen sich Raum und Zeitkunst entwickelt, den verschiedenen Methoden, die bildende Kunst und Literatur anwenden, um einen spezifischen Moment zu fassen. Und er formuliert für die bildende Kunst: "Die Malerei (das gilt aber mit gleicher Schwere auch für die Skulptur) kann in ihren (...) Kompositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und muß daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird (...) Ein wenig vorher im Text beschreibt er die Gefahr, die sich für den Gestalter eines solchen Augenblicks eröffnet: "Erhält dieser einzige Augenblick durch die Kunst eine unveränderliche Dauer: so muß er nichts ausdrücken, was sich nicht anders als transitorisch denken läßt. Alle Erscheinungen, zu deren Wesen wir es nach unsern Begriffen rechnen, daß sie plötzlich ausbrechen und plšözlich verschwinden, daß sie das, was sie sind, nur einen Augenblick sein können; alle solche Erscheinungen, sie mögen angenehm oder schrecklich sein, erhalten durch die Verlängerung der Kunst ein so widernatürliches Ansehen, daß mit jeder wiederholten Erblickung der Eindruck schwächer wird, und uns endlich vor dem ganzen Gegenstande ekelt oder grauet." Unbändig lachende Gesichter erscheinen einem in Bildwerken bei wiederholter Betrachtung als Fratze, genauso geht es mit allen heftigen Affekten. Der Körper des Wagenlenkers ist nicht angespannt verkrampft, sondern befindet sich in einem Schwebezustand vor dem Ausbruch solcher Affekte. Diese Seelenzustände sind noch nicht auf der Körperoberfläche angekommen, sie befinden sich aber schon dicht unter der Oberfläche eben als Potentialität. |
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