Reise zu den zeit- und
raumübergreifenden Orten der Phantasie zu den Arbeiten von Sabine Mohr von Belinda Grace Gardener Es beginnt mit einer Karte –
einer Landkarte vielleicht, oder einer Spielkarte. Die
eine gibt den Wildnissen und Weiten der Welt bildliche
Ordnung und rückt fernes, unwegsames Terrain in
handhabbare Nähe, macht es begehbar. Die andere verleiht
den Unwägbarkeiten des Glücks und dessen Kehrseite
symbolische Gestalt und lässt den Zufall flüchtig
greifbar, formbar werden. Beides, Land- und Spielkarte,
sind Metaphern für den menschlichen Willen, Ort und
Schicksal gestaltend zu bändigen, sich im (Lebens-)Spiel
als Gewinner zu behaupten. Genau auf die tieferen
Dimensionen, die diesen und anderen alltäglichen Bild-
und Bedeutungssystemen innewohnen, hat es die Hamburger
Künstle- rin Sabine Mohr abgesehen. Als eine mit
poetischem Blick vorgehende Ethnografin des eigenen und
auch fremden Umfeldes (sie hielt sich zu Arbeitsauf-
enthalten u. a. mehrfach in Frankreich auf, reiste nach
China, Sizilien und in die USA) erkennt sie im Beiläufi-
gen die Zeichen, die auf das größere Bild, auf
unterliegende, weiterführende Schichten, auf kultur- und
geschichtsübergreifende Verflechtungen verweisen. In
ihrer konzeptuellen ästhetischen Methode vereint sie die
assoziative Logik des Traums und die deduktive
Kombinatorik der Wissenschaft, die unmittelbare
Lebensbezogenheit der Feldfor-scherin und die magische,
bisweilen surreale Verwandlungskraft der Alchemistin.
Bei ihrem paradoxen, zwischen Konkretisierung einerseits und Abstrahierung andererseits oszillierenden Verfahren, nimmt das Herauslösen, die Dislokation der Gegenstände, denen sie auf der Spur ist, eine ebenso zentrale Rolle ein wie deren Übertragung in |
Materialien, die
wiederum in Bezug zum gegebenen räumlichen Kontext
stehen und als inhalts- und stimmungstragende Vehikel
fungieren. Vergleichbar mit einem Sandkorn, das durch
ein Elektronenmikroskop hindurch betrachtet zum
kristallinen, nicht wiederzuerkennenden Fremdkörper
mutiert und zugleich seine eigentliche, sonst
unsichtbare Beschaffenheit offen- bart, eröffnen Sabine
Mohrs aus dem Strom des Alltags geschöpften, de- und
rekontextualisierten Sujets überraschende Perspektiven:
Hier ist es die Linse der künstlerischen Transformation/
Verschiebung, die das Unbekannte im Bekannten, das
verdeckte, übersehene Wesen der Dinge zum Vor- schein
bringt.
Das Feld, auf dem sich die Künstlerin bewegt, lässt sich nicht so ohne weiteres thematisch fixieren. Dennoch fällt ein Hang zu Stilisierungen im weiteren Sinne auf, die sich in Form ornamentaler Patterns (etwa die Rückseite von Spielkarten, das Kamouflage-Muster auf einer russischen Zigarettenschachtel), topografischen oder sonstigen Vermessungen (auf Landkarten, zum Beispiel) und anderen systematischen / schematischen Darstellungen manifestieren. Sie bilden den syntaktischen Rohstoff, wenn man so will, für eine semantische Vertiefung und Verfeinerung, welche das substrukturelle, historische Potenzial der Untersuchungsgegen- stände freisetzt und simultan denkbare – utopische – Möglichkeiten in Aussicht stellt. Als ein Leitmotiv taucht in Sabine Mohrs neueren Arbeiten eine Landkarte aus dem 19. Jahrhundert auf, welche die Künstlerin in einem antiquarischen französischen Nachschlagewerk fand. Diese Karte ist bereits eine symbolhafte Repräsentation, genauer: eine Fiktion, da sie eine imaginäre Welt-Landschaft vor Augen führt - eine konstruierte, synthetische Komposition aus allen auf der Erde vorhandenen geografischen Phänomenen: Meer, Insel, Düne, Küste, Ebene, Tal, Flussbett, Wüste, Oase, Bergkette, Pla- |
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