Die Maskierung von Selbst und Welt - Thomas Piesbergen zur Ausstellung „Fit for life - On nymphs behind masks“ von Jana Rippmann

Beschäftigen wir uns mit der Frage nach Autonomie, also der Eigengesetz-lichkeit und Selbständigkeit, müssen wir uns zunächst mit der Frage beschäftigen, wie sich denn ein Selbst, das sich innerhalb eines noch nicht näher bestimmten Zusammenhangs abgrenzt und eigengesetzlich handelt, eigentlich konstituiert.

Der Existentialphilosophie Jean-Paul Sartres zufolge, kann sich der Mensch nur im akuten Erleben seiner selbst begreifen. Dieses Erleben kann sich nur im Handeln vollziehen. Was er ist, also die Essenz des Menschlichen, ist nicht gegeben. Der Essenz geht immer die Existenz voraus, also der Umstand, dass der Mensch überhaupt ist. Die Existenz manifestiert sich ihrerseits im Handeln, das erlebt wird und dadurch wiederum das Sein zeitigt.(1)

Dieser Ansatz, das Handeln als maßgeblichen Aspekt des Seins und der Konstituierung des Selbst zu betrachten, ist jedoch nicht ganz neu.
Bereits 1795 postulierte Johann Gottlieb Fichte, das absolute Ich existiere nur im Handeln und in der Anschauung seiner selbst während dieser Handlung. Alles, was sich diesem konkreten Handeln und seiner Reflexion entzieht, wird vom Ich als Nicht-Ich geschieden. Dieses Nicht-Ich ist mit seinen irrationalen Anstößen, die uns zur Handlung motivieren, aber essentiell für den Prozess der Selbsterfahrung, da ohne das Nicht-Ich keine Handlungsanlässe gegeben sind (2). Das bedeutet also, das Ich erfährt sich selbst in der Interaktion mit dem Nicht-Ich, also in dem es an der Schnittstelle zwischen Selbst und Welt agiert. Wir konstituieren uns demzufolge im Spannungsfeld von dem, was wir sind und dem, was wir nicht sind. Ohne eine uns umgebende Welt ist die Selbsterfahrung nicht möglich.
Dieses essentielle Postulat begegnet uns bereits in der Spätrenaissance bei Michel de Montaigne, der schrieb: „Diese große Welt ist der Spiegel, in den wir hineinschauen müssen, um uns von Grund auf kennen zu lernen.“(3)
Die wechselseitige Bezogenheit von Selbst und Welt finden wir auch in „Die Lehrlinge zu Sais“ von Novalis, der unmittelbar von Fichte beeinflußt war. In dem Tempel der Göttin zu Sais suchen ihre Adepten nach der tiefsten Wahrheit der Welt, die sich hinter dem Schleier der Göttin verbergen soll. Dort heißt es: „Einem gelang es, - er hob den Schleier der Göttin zu Sais - Aber was sah er? er sah - Wunder des Wunders - sich selbst.“(4) So spiegelt sich nicht nur das Selbst in der Welt, sondern auch die Welt im Selbst.

Doch natürlich ist es dem handelnden Selbst nicht möglich, sich in der allumfassenden Totalität der Welt zu spiegeln und sich an ihr zu messen. Denn, wie Pierre Bourdieu feststellt: „Als Körper (und als biologische Individuen) sind menschliche Wesen immer ortsgebunden und nehmen einen konkreten Platz ein. (Sie verfügen nicht über Allgegenwart und können nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein.)“ Dasselbe gilt für den sozialen Raum, in dem sie sich bewegen, der sich seinerseits, so Bourdieu, durch „wechselseitige Ausschließung“ definiert.(5)

Will man also wissen, anhand welcher Anhaltspunkte sich ein Selbst konstituiert, ist es notwendig, dessen konkreten und individuellen Erlebnisraum zu betrachten.

Dieser Erlebnisraum war Jahrhunderttausende zusammengesetzt aus den unmittelbar biologischen und den naturräumlichen Bedingungen des Individuums, zu denen sich bald ein zunehmend eigendynamischer kultureller Kontext gesellte, in den das Individuum eingebunden ist.
So steht es einerseits einer gleichgültigen Natur gegenüber, die jederzeit
(1) Jean-Paul Sartre: Ist der Existentialismus ein Humanismus? Drei Essays, Ullstein, Frankfurt 1989, S. 11
(2) Johann Gottlieb Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. I. Hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs und Hans Gliwitzky, Stuttgart- Bad Cannstatt, 1962
(3) Nikolaus Andreas Egel: Montaigne. Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst. Magisterarbeit. Ludwig-Maximilians-Universität München, 2008
(4) Novalis: Gedichte - Romane, Manesse Verlag, Zürich, 1968
(5) Pierre Bourdieu: Ortseffekte, in ders.: Das Elend der Welt, Universitätsverlag Konstanz, 1997

Präsentation
Vernissage
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