3.  Apparate
Ausgehend von der Bedeutung des Begriffs "Apparat", der eine zusammengesetzte Maschine bezeichnet und um 1900 für die ersten Flugmaschinen verwendet worden ist, erweist er sich heute deutlicher als damals als hybrid; denn er bezeichnet nicht nur die Antriebsmaschine, sondern auch die Verbindung, die diese im Zusammenwirken mit einer Anzahl von Nebenaggregaten haben muss, um seine Aufgabe zu erfüllen. Wir würden heute von Komplexität reden, zumal der im gesellschaftlichen Rahmen tätige "Apparat" hinzuzurechnen ist. Erst eine Steuerung und darüber hinaus die Verwaltung lässt eine bestimmte Ausstattung oder hardware überhaupt funktionieren. So gewährleisten Ministerien oder Verwaltungen, dass z.B. Straßen gebaut und instand gesetzt werden, wodurch sich jedes Fahrzeug möglichst optimal darauf bewegen kann. Landesweite Verwaltungen wurden zur Voraussetzung dafür, dass Eisenbahn- sowie Post- und Fernmeldewesen ausgebaut werden konnten. Sie bildeten die technische Grundlagen des Massenverkehrs und der Kommunikation überhaupt. Daher lässt sich feststellen, dass es sich hier um ein Dispositiv handelt. Insofern haben die technische Entwicklung und das medizinische Verständnis von Organismen ein dialektisches Verhältnis von Maschinen und Lebewesen erst entstehen lassen.


IV. Flugapparate und Projektoren
Zusammengesetzte Maschinen als Modell

Freud bezeichnete die Psyche mit diesem Begriff, weil es damals state of the art war, ein komplexes organisiertes Geschehen zu erfassen, in dem viele Instanzen und Hierarchien zusammenarbeiten. Da es sich jedes Mal auch um die Darstellungen von Bewegungen (Gefuehlsbewegung) handelt, fuehrte er gleichzeitig den aus der Pflanzenbiologie stammenden Begriff des "Trieb"s ein, der das Zusammenspiel zwischen Motor, Getriebe, Achsen und Raedern als "Antrieb" bezeichnet. Freud übertrug damals diese aktuellen Begriffe, um das Psychische und die Tätigkeit des Unterbewussten zu bezeichnen und bewirkte zugleich eine immer stärkere Durchdringungstiefe von Psyche und einzelnen Organen des Körpers. So wurden letztlich die Verschaltungen von Einzelteilen einer Maschine auf den Körper als Ensemble von Organen übertragen.9

Auch die Filmindustrie, die gerade Gestalt annahm und in der Lage war, zeitliche Abläufe von nicht mehr vorhandenen Geschehnissen festzuhalten und abzubilden, verwendete diese Terminologie. So ist der Apparat beim Film in zwei Varianten vorhanden: Einmal als Aufnahmegerät, also als Filmkamera und dann als Abspielgerät,  also als Projektor.

Die Filmkamera ist ein Gestalt gewordener Perzeptionsapparat und wir haben das Roh- material, das belichtet wird und in Laboren entwickelt wird. Sodann wird das Material geschnitten und zusammengefügt, so dass sich unter der Hand des Regisseurs am Schneidetisch ein Film ergibt, der einem Publikum durch einen Projektionsapparat auf einer Projektionsfläche vorgeführt werden kann. Dieser bildet nicht nur ein Modell der menschlichen Wahrnehmung, sondern diese komplexen Vorgänge der Konstruktion und Umgestaltung gingen als "Projektion" ebenfalls in die Psychoanalyse ein.

In der einschlägigen psychoanalytischen Filmliteratur wird der apparative Aspekt heute kaum beachtet, so dass die psychoanalytischen Ansätze ausschließlich auf die Filminhalte und die im Kino gezeigten Themen bezogen bleiben10. Das Zusammenspiel von Technologie und Wissenschaft gipfelte dagegen schon in den Anfängen des Films in der Koppelung der Kinematografie mit Fliegen und Schießen, als in der Folge der stroboskopischen Fotografie von Eadweard Muybridge und Étienne-Jules Marey Maschinengewehre und Filmvorführ-geräte nach ähnlichen Prinzipien konstruiert und mit den Propellern von Flugzeugen synchronisiert wurden11. Dieses spiegelt die kriegerische Tätigkeit der Industrienationen im 20. Jahrhundert, die neben dem Luftkrieg als technologisches Massenvernichtungsmittel auch die Filmsujets entwickelt haben, in denen Schießen, Fliegen und Töten bevorzugte Themen sind. Diese Aspekte erneut zusammen zu bringen, könnte die materiellen und immateriellen Voraussetzungen, die parallel die Konstruktion von Maschinen und die Vorstellung von der Psyche konstituiert haben, verstehen helfen.

Dieser Exkurs scheint mir notwendig, um das Interesse bildender Künstler an Video und Kino zu klären und ihre vielschichtige Erscheinungsformen als Auseinandersetzung mit dem Apparativen zu verstehen. An dieser Stelle sehe ich einen möglichen Ansatz, um die Selbstbeschäftigung der Künstler mit den Mitteln der Dokumentation12 zu klären, darüber hinaus zu gehen und ein neuartiges Kunstmachen zu ermöglichen.

Die 04. Ausstellung im Jahresprojekt HYBRID des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
9 "Obwohl Freuds Schriften konsequent einer Auseinandersetzung mit dem kinematografischen Apparat aus dem Wege gingen, entlehnte er aus dem Bereich der optischen Medien und der Medien schnellere Verschlusszeiten spezifische Begriffe, um die Unzulänglichkeit der zeitgenössischen Neurologie und ihres wesentlich auf Lokalisation beruhenden Schemas durch die Konzentration einer erneuerten Theoriesprache zu überwinden." Ramon Reichert belegt auch, dass Freund sich für die Lokalisierbarkeit von Funktionen in einem Apparat interessierte, um diese auf die Psyche zu übertragen. Im Kino der Humanwissenschaften. Studien zur Mediatisierung wissenschaftlichen Wissens, Bielefeld 2007, S. 169
10 "Das frühe Interesse weniger Psychoanalytiker am Kino, das Interesse des Kinos an den 'Geheimnissen einer Seele'. Die Vehemenz, mit der Filmanalytiker und Kinotheoretikerinnen sich psychoanalytischer Konzepte bedienen.", hebt Veronika Rall hervor, 
um Studenten für ihre Lehrveranstaltung an der Uni Zürich zu interessieren. Ballhausen, Thomas, Günter Krenn u.a. (Hg.)
Psyche im Kino: Sigmund Freud und der Film, Wien 2006; Jasper, Kristina, Wolf Unterberg (Hg.) Kino im Kopf: Psychologie und Film seit Sigmund Freud, Berlin 2006.
11 Vgl. hierzu die Ausführungen von Friedrich Kittler: Grammophon  - Film - Typewriter, Berlin 1986, "Die Geschichte der Filmkamera fällt also zusammen mit der Geschichte automatischer Waffen." S. 190, "Zusammenfall von Kino und Krieg" S. 195; dazu auch: Paul Virillio; Guerre et cinéma: La gogistique de la perception, Paris 1984, dt.: Kino und Krieg, München 1986
12  Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Biopolitik. Vom Kunstwerk zur Kunstdokumentation, in: documenta 11_Plattform 5_Ausstellung, Kassel 2002 S. 107-113

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