Llaura I. Sünner: AtmosFähren
Einführungstext von Dr. Belinda Grace Gardner

Die AtmosFähren, durch die Llaura I. Sünner navigiert, verlaufen zwischen inneren und äußeren Klimazonen, zwischen künstlerischer und naturhafter Gestaltung, zwischen individueller Seelengestimmtheit und erdumhüllender Sphäre, zwischen den weiten, wetterbedingten Gefilden der Wolken und den nicht minder expansiven Imaginationsräumen der Gedanken und Träume. In ihrer halbierten Erdkugel ist der Himmel, der unsere Welt sonst schwebend umgibt, selbst nach innen gekehrt und introspektiv versunken: Wolkige Gebilde zeichnen sich im Blau des konkav gewölbten Halbrunds ab. Die zweite, konvexe Hälfte verschließt sich derweil dem Blick als undurch-dringliche Außenhülle.

Sünners Doppel-Skulptur Innenwelt I (2020) ist aus neutralem, erdfarbenem Filz geformt, ein Material, das in verschiedenen Farbvarianten schon lange im Werk der Hamburger Künstlerin als zentraler Baustoff zum Einsatz kommt. Die geöffnete Weltschale offenbart einen Himmel aus montierten Gazestoff- bahnen: ein Readymade-Wolkenhimmel quasi von der Stange, der hier im inwendigen Welt-Raum zur malerischen Anmutung abstrahiert wie ein mental verinnerlichtes Nachbild, ein Seelen-Raum erscheint. In Innenwelt II (2020) hingegen entfaltet sich der invertierte Himmel wie eine Blüte entlang imaginärer Längengrade zerlegt nach außen. Der in pastellener blauweißer Gaze gefütterte geteilte Globus mutiert dabei zu einer Seeanemone der Lüfte, ein Trugbild wie die transitorischen Gesichter, Vögel und anderen Wesen, die wir für Momente in den Wolken zu erkennen meinen.
Sünner begibt sich in ihrem medienübergreifenden, aus plastischen Objekten, Fotocollagen, Aquarell- und Bleistiftzeichnungen bestehenden Ensemble der auf (und in) die Erde geholten Himmelsansichten vom Anblick realer Wolkenformationen am Firmament über die Phantasiefiguren, die diese vor dem geistigen Auge hervorrufen, in die vielfältigen Brechungen der Bilder und wieder zurück zu den flüchtigen, wechselhaften Gebilden der Wolken vor leuchtendem Blau. Der Titel ihrer Ausstellung, AtmosFähren, beschreibt keinen Status quo, sondern Übergänge von einem Zustand in den anderen, Passagen von einer Perspektive zur nächsten. Wir folgen deren Flug- und Erdbahnen, schauen von oben herab auf den Himmel und wie aus weiter Ferne auf ganz Europa (Europa I +II, 2020), das sich mal als kontinentale Umrissform und mal als ausgefülltes Terrain auf dem Untergrund eines Wolkenmeers zart abzeichnet.

Der Himmel zersplittert in der mehrteiligen Gruppe Wolkenschliff I–IV (2019/2020) in prismatische Fragmente, die dem Kristallschliff von Edelsteinen nachempfunden sind und an eingefasste Teile von Mosaiken und Buntglasfenstern erinnern. In den dreieckigen Feldern unterschiedlicher Größe hat Sünner kaleidoskopisch Ausschnitte aus eigenen Fotografien vereint: von Wolken durchwirktes Himmelblau in verschiedenen Schat-tierungen, schillernde Regenbögen, Vögel sowie Portraits der Künstlerin, die auf dunkle Körperkonturen oder Beine und Füße reduziert sind, letztere auch wieder eine Erdung der ephemeren Himmelserscheinungen und deren doppelter Realität zwischen dem Boden der Tatsachen und den Bildern der Imagination.

Der 01. Beitrag zum Jahresprogramm SEELENKLIMA des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2021
Präsentation           
Statt Vernissage
Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek
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