Der Sinn nutzloser Wirkpotenziale - Einführungsrede zur Ausstellung "Yukari Kosakai - Krafttakt" von Dr. Thomas Piesbergen

Eine Ausstellung im Rahmen des Jahresthemas "Speichern. Akkumulieren." im EINSTELLUNGSRAUM,
Hamburg, Oktober 2016

Der Mensch im postindustriellen Zeitalter ist daran gewöhnt, sich mit realen und zunehmend auch virtuellen Dingen und Erscheinungen zu umgeben, mit Gebrauchsgegenständen, Diensten und Vorrichtungen zur Zerstreuung, die vor allem anhand der Kategorie ihrer Zweckmäßigkeit wahrgenommen werden, sowohl im rein pragmatischen, als auch im irrationalen Sinn, wenn wir Dinge durch diskursive Repetition mit vermeintlichen Bedeutungsgehalten aufgeladenen haben.

Stets beruht unser Urteil über die Erscheinungen unserer Alltagswelt auf dem teleologischen Zweck, den wir erkennen oder den wir den Erscheinungen auf dem Weg der Reifikation beimessen. Wenn uns die Dinge dienen und wir aus ihnen einen Nutzen ziehen können, scheint dieser Umstand uns meist zu einer Einschätzung und Beurteilung dieser Dinge zu genügen.

Das „Wie“ der Dinge verschwindet für das Gros der postindustrieller Konsumenten hinter der Oberflächenlosigkeit der semi-virtuellen Mensch-Maschine-Interfaces, den Touchscreens, mit denen unser Alltag zunehmend ausgekleidet wird. Wir bewegen uns mehr und mehr in einer Welt digitaler Bilder und Dienstleistungen, die im Jenseits der immateriellen Oberflächen generiert werden. Wer vergegenwärtigt sich schon, was sich jenseits der realen, materiellen Oberfläche eines Touchscreens abspielt?

Übersetzen wir diese depravierte, beschnittene Wahrnehmung in das aristotelische Konzept der Ursachen, scheint den meisten Menschen nur die causa finalis von Bedeutung zu sein. Möchte man sich den Dingen jedoch in ihrer Ganzheit widmen, ist es notwendig, auch die anderen drei von Aristoteles beschriebenen Ursachen zu betrachten: die causa materialis, die causa efficiens und die causa formalis.
Die causa materialis, also die Materialursache, beschreibt, welchen Materialien ein Gegenstand oder eine Erscheinung überhaupt ihre Existenz verdankt, welche chemischen Stoffe also die Gestaltwerdung oder Wirksamkeit des Objekts in der physischen Wirklichkeit verursachen.

Die causa efficiens, die Antriebsursache, bezeichnet den Arbeitsaufwand, die umgesetzte Energie, die notwendig gewesen ist, um aus den Materialien den Gegenstand zu formen oder die Erschei- nung hervorzubringen.
Die causa formalis, die Formursache, schließlich stellt den Bauplan, die angestrebte Ordnung oder die gestaltgebenden Bedingungen dar, nach der die Materialien zusammengefügt worden sind, um schließlich die uns entgegentretende Form hervorzubringen.
Kein Haus existiert ohne die Absicht, ein Haus zu bauen (causa finalis), ohne Holz und Steine (causa materialis), ohne Bauplan (causa formalis) und ohne die Arbeit von Handwerkern (causa efficiens).

Natürlich gibt es zahllose Interdependenzen zwischen den vier aristotelischen Ursachen und zunächst erscheinen sie gleichberechtigt, doch tatsächlich gibt es eine markante Polarität zwischen den zuletzt genannten drei Ursachen, die man als Wirkursache zusammenfassen kann, und der causa finalis, der Zweckursache. Denn während die causa materialis, die causa efficiens und die causa formalis in der Vergangenheit eines Gegenstandes zu verorten sind, ist die Zweckursache etwas Zukünftiges, Vorweggenommenes.

Wir betrachten Dinge und uns interessiert fast nur, wie ihre Funktion in unserer eigenen Zukunft zur Wirkung kommen und sich entfalten kann. Wird die Übertragungsrate mit der
neuen Breitbandverbindung größer? Funktioniert die Bildbearbeitung mit dem neuen Prozessor wirklich schneller? Wird mich mein neues Navigationsgerät auch sicher um Staus und Baustellen herumführen? Komme ich mit der neuen Parkhilfe zukünftig in noch kleinere Parklücken? Wirke ich durch die Anschaffung eines leistungsstarken Cabrios jugendlicher und sexuell attraktiver?

Kaum jemand setzt sich, wenn er mit einer Hervorbringung der Zivilisation konfrontiert wird, damit auseinander, aus welchem Material ein Gegenstand angefertigt ist, welcher Arbeitsaufwand oder


Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Bezirk Wandsbek und VG-Bildkunst, Bonn
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