Let the circle be unbroken - Eröffnungsrede zur Ausstellung "Maria Fisahn: Großer Roter Fleck - Tanz der Teilchen in den Feldern"
von Dr. Thomas Piesbergen

Die Ausstellung "Großer Roter Fleck - Tanz der Teilchen in den Feldern" von Maria Fisahn im Einstellungsraum e.V. findet statt im Rahmen des Jahresthemas Drehmoment,
September 2017


Zu den ältesten künstlich geschaffenen Objekten der Vorgeschichte gehören, neben den „Choppern“, den Vorläufern der Faustkeile, die sogenannten Sphäroide. Dabei handelt es sich um Steine von etwa 3 bis 7 cm Durchmesser, die eine nahezu runde Form aufweisen.
Sie werden heute in der Regel als Schlagsteine interpretiert, die dazu dienten, andere Werkzeuge zuzurichten, doch in manchen Fällen bestehen sie aus Materialien, wie z.B. Löss, die eine Verwendung als Werkzeug sehr unwahrscheinlich machen.
Die Archäologin Marie E.P. König sah in ihnen den ersten Versuch, das Numinose, die dem Menschen gegenüberstehende unsichtbare Kraft, in einem manifest gewordenen Begriff zu objektivieren. Nach ihrer Interpretation stellt die Kugel den ersten Elemantargedanken der menschlichen Kultur dar, die erste konkret gewordene ideelle Äußerung, in der alle Beob- achtungen und die daraus abgeleiteten Vorstellungen in einem diffusen Begriff zusammen- gefasst werden konnten: ein erster Ausdruck der Erfahrung universeller Einheit.

Dieser im Kreis ausgedrückten kosmologischen Einheit aller Erscheinungen begegnen wir auch in den Weltkonzepten und Raumordnungsprinzipien der wenigen noch dokumentierten hierarchielosen Gesellschaften wieder, wie z.B. bei den philippinischen Aeta oder den Busch-männern der Kalahari. Ihre bescheidenen Hütten, ihre Dörfer, ihre Tänze, ihre Vorstellung der Welt und die Zyklen des Lebens haben alle die Form des unsegmetierten Kreises.

In der griechischen, ägyptischen und germanischen Mythologie sowie in der Alchimie erscheint der Kreis als Ouruboros, die Weltenschlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und mit ihrem Leib nicht nur den ganzen Kosmos umschließt, sondern auch die zyklische Natur der Zeit repräsentiert, also ein Symbol für die Raumzeit und damit für die uns vorstellbare Existenz schlechthin ist.
Eine ähnlich universelle Bedeutung kommt dem Kreis auch in der japanischen Kaligraphie zu, in der das Zeichen Enzo für den gegenwärtigen Moment steht, für die Erleuchtung, das Universum und die Leere, die großen synonymen Begriffe zen-buddhistischer Welterfahrung.

Man kann also das Kreissymbol durchaus berechtigt als die Urform einer „Theorie of Everything“ verstehen, einen Vorläufer der großen vereinheitlichenden Weltformel, die eines der maßgeblichen Ziele der modernen Physik ist.

Wenden wir uns der Erscheinungswelt physikalischer Forschungsfelder zu, vor allem denen  der Mikro- und der Makrosphäre, begegnen uns auch dort Kreis und Kugel als formale Grundprinzipien:
Die Wahrscheinlichkeitswolken der Elementarteilchen sind kugelförmig, ihre Bewegungen im atomaren Zusammenhang beschreiben Ringbahnen, alle kosmischen Körper, Sterne, Planeten, Schwarzen Löcher oder Quasare haben
Kugel-, Ring- oder Kreisgestalt. Und auch in der Mesosphäre, in der wir sonst vor allem mit den vielgestaltigen Phänomenen der Emergenz konfrontiert sind, begegnen uns überall Kugel und Kreis als universelle Form- und Bewegungsprinzipien.
Besonders gut wird das Streben zum Kreis deutlich in der Bildung von Ringen auf der Wasseroberfläche: Egal welche Form ein Objekt hat, das man ins Wasser wirft - die von ihm ausgehenden Wellen sind immer ringförmig.

Dennoch leben wir in einer Welt, in der die Symmetrie der uranfänglichen Einheit so viel zahllose Male gebrochen worden ist, daß sie uns in dem Bereich der Mesosphäre als ein fortwährendes, sich nur unzureichend selbst organisierendes Chaos erscheint.
Denn selbst wenn unser Universum, dessen kleinste und größte Erscheinungen Kugelform haben, sich selbst, ausgehend von einem überall zu verortenden Zentrum, in Form einer n-dimensionalen Kugel ausbreitet und sogar unsere Raumzeit nach einem Modell von Stephen Hawking einer Kugel entspricht, bringt es in unserem Wahrnehmungsabschnitt Myriaden unterschiedlichster Formen und Erscheinungen hervor, die wir seit Anbeginn der Kultur mehr oder weniger verzweifelt versuchen, in eine uns verständlich Ordnung zu bringen.

Präsentation
Vernissage
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