Ursprungs vergeblich ist, ist es auch weder sinnvoll, einer toten Pflanze Wasser zu geben, dazu in dieser Form, noch ist es sinnvoll, einen bereits abgestorbenen Ast zu gipsen, in der Hoffnung, er wüchse vielleicht doch wieder zusammen. Denn so wie es Bertolt Brecht über eine vergangene Liebe schrieb, so verhält es sich auch mit einer unterbrochenen Lebenslinie:

„Der abgerissene Strick
kann wieder geknotet werden
er hält wieder, aber
er ist zerrissen

..."
Zudem können die Eisblöcke auch als ein Fundament gelesen werden, dessen Stabilität trügerisch und vergänglich ist. Zwar trägt das Eis zunächst den Ast, doch über kurz oder lang wird es geschmolzen sein und der Ast wird auf dem nackten Boden endgültig zur Ruhe kommen.
Das Motiv des Wassers ist auch in einem anderen Zusammenhang bedeutsam: es wird weiter abschmelzen, vorübergehend in einen anderen, instabilen Zustand übergehen und sich schließlich verflüchtigenden. Auch hier begegnet uns also die Liminalität wieder, der unsichere Überganszustand.

Tatsächlich verbreiten die Materialien in ihrer Gesamtheit den Eindruck von Strandgut, als seien sie angespült worden, als wären es die Abfälle oder die zerschlagenen Reste, die von der Zentrifugalkraft der Zivilisation über deren Rand geschleudert wurden, die nun von einem Bricoleur, der sich selbst in einem prekären Übergangszustand befindet, verwendet werden, um neue Muster zu generieren, neue bedeutungsvolle Ordnungen, um den eigenen Platz in der Wirklichkeit zu definieren - und damit eine neue, eigene und konsistente Identität.

In der Archäologie gibt es ein methodisches Verfahren mit der Bezeichnung activity area analysis, das maßgeblich von Susan Kent entwickelt worden ist. Durch eine Untersuchung der Verteilung von Funden in einem Befundzusammenhang wird versucht, spezifische Aktivitäten räumlich zu isolieren bzw. zuzuordnen. Dadurch wiederum werden Muster der Raumnutzung ablesbar, die als kulturspezifisch gedeutet werden können. Ebenfalls relevant sind natürlich nicht nur die Verteilungsmuster der Dinge, sondern auch die Dinge selbst, die als erste Merkmale kultureller Zuweisung herangezogen werden.

Die Arbeiten von Lior Eshel könnte man als ein analoges Verfahren verstehen, eine Archäologie der handlungsorientierten Identitätskonstruktion in der liminalen Eintrittsphase des Exils.

Ihr ist dabei ein vielfältiger Werkkomplex gelungen, der sich nicht darin erschöpft, aktuelle weltpolitische Bezüge und kulturelle Diskrepanzen zu behandeln, sondern der sich selbstre-flexiv und allgemeingültig mit den Handlungsbedingungen im Exil befasst.

Dass durch diese künstlerische Handlungsweise zahlreiche Assoziationen zu der gegenwärtigen, dramatischen Situation der Flüchtlinge in aller Welt geweckt werden, offenbart weniger eine vordergründige politische Gestaltungsabsicht, als vielmehr den holistischen, fraktalen Charakter unserer Welt, der sich wie von selbst offenbart, wenn man nur ergebnisoffen und aufmerksam genug die Bedingungen und Konsequenzen unserer Handlungen, den Raum und seine Zugänglichkeit und damit die Zugänglichkeit der Ressourcen erforscht.


ⓒ Dr. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, Juni 2018

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Vernissage
Die 5. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

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