Utopietransporter
von Johannes Lothar Schröder

Nach den letzten beiden Ausstellungen, die kunsttheoretische Fragen der Fotografie und interdisziplinäre Bereiche wie Schwarmintelligenz berührten, beginnt heute ein spielerischer Abschnitt des Jahresprojekts „shared space“. Das heißt allerdings nicht, dass es mir die Sprache verschlagen würde, weil Spielen nichts mit Theorie zu tun hätte. Im Gegenteil, für fast alles gibt es eine Theorie; denn ohne Theorie wird nichts wichtig genommen. Spieltheorie ist z.B. ein für die Finanzwirtschaft unabdingbares Gebiet der Mathematik und auch für Kulturwissenschaften von Belang. Also nehmen wir das Spiel so ernst wie es Kinder nehmen. Und warum? Weil jedes Spiel auch Regeln hat. Dazu später.

Zunächst möchte ich einige dieser hier geparkten Gefährte genauer in den Blicke nehmen, und auch auf die vielen bunten Dinge, mit denen sie bestückt sind, zu sprechen kommen. Sie ziehen unsere Blicke auf sich und laden uns ein, sich mit ihnen zu beschäftigen. Und ich denke, wir machen diesen Monat den Auslagen in den benachbarten Schaufenstern einmal Konkurrenz. Tan Bartnitzki hat den EINSTELLUNGSRAUM in ein Fahrzeugdepot verwandelt, in dem jedes der mit einer Nummer versehenen Gefährte seinen Platz hat. Beim genaueren Hinschauen sind sie alle mit einer Anzahl von Dingen bestückt, die auf eine Funktion oder eine Verwendung hindeuten. Da sind Entdeckerfreude und Einfallsreichtum gefragt, denn jeder Cityroller soll von einem Besucher oder einer Besucherin auf die Straße geführt werden.

Wie wird es gemacht?

Cityroller Nr. 8 ist ein mehrstöckiges Gefährt, in das verschieden große Kissen einsortiert sind. Es verfügt über eine Art Kran, der dazu dient, diese 'an Bord' zu hieven oder sie zu präsentieren. Die dazugehörige Anweisung sieht vor, ihn zur Belüftung der Kissen einzusetzen.
Die vollständigen Anweisungen der Künstlerin sind auf einem Blatt nachzulesen. Darin heißt es zur Nr. 8:
„Bieten Sie den Bewohnern der Straße einen Reanimierungs- und Belüftungsservice ihrer schlappen Kopfkissen an. Um positive Schwingungen in die Kissen zu leiten untermalen sie bitte ihren Hin- und Rückweg musikalisch. Stellen sie sich dazu ihr Lieblingstier vor und summen, flöten oder singen sie dabei.

Die Handlungsanweisung fordert die Benutzer der Cityroller dazu auf, sich im Öffentlichen Raum zu exponieren, und mit diesem Gefährt musikalisch bemerkbar zu machen. Die Straße soll wieder zum Ort des Austauschs und der Kommunikation werden. Wenn Politiker Bedingungen für „Gemein- schaftsstraßen“ schaffen, funktionieren diese eben nur, wenn parallel dazu auch die Bereitschaft vorhanden ist, sich auf der Straße darzustellen und zu äußern. Das ist eine Fähigkeit, welche die meisten von uns nicht gelernt haben; unter anderem auch, weil die Gepflogenheiten, wie Nachttöpfe auf den Gehweg entleeren sowie Decken und Kissen im Hof auszuschütteln, kaum mehr praktiziert werden. Solche Tätigkeiten waren immer auch Anlässe zur Begegnung mit Passanten und Nachbarn. Selbst wenn es Ärger und Schimpftiraden gab, überwog doch die Zeit, die für ein Schwätzchen unter Nachbarn blieb. Darauf legen wir heute vielleicht nicht mehr genügend Wert, und erst mit dem Verschwinden dieser Gewohnheiten wird bemerkt, dass sie auch dazu führten, eine unverkrampfte Beziehung zu Nachbarn oder Passanten zu pflegen. Bartnitzkis Service ist ein Ansatz, um diese Entwicklung aufzuhalten und neue spontane Begegnun- gen anzubahnen.

Wem Dienstleistungen fremd sind und wer nicht die Gabe hat, durch Verkauf Geld zu verdienen, dem kommt Cityroller Nr. 51 entgegen, der reichlich mit Objekten aller Art - vornehmlich aus 50-Cent- oder 1-Euro- Angeboten - bestückt ist. Wer diesen Einkaufswagen wählt, kann sich einmal richtig als Geschenketante oder -onkel austoben. Doch aufgepasst! Auch hier ist die Anweisung besonders sorgfältig zu lesen! Man sollte sich überzeugen, dass man denjenigen, den man zu beschenken beabsichtigt, auch wirklich sympathisch findet und sich beim Schenken zügelt, um nicht in einen Wohltätigkeitsrausch zu geraten.



W Ü N S C H E

Was sind eigentlich Wünsche und was haben sie in räumlicher Hinsicht mit dem Shared Space zu tun? Wünsche beziehen sich auf Nicht-Gewährtes oder Verborgenes. Dabei kann es sich auch um Orte handeln, an die wir gelangen wollen und die wegen ihrer Entfernung und einem Mangel an Möglichkeiten nicht erreichbar sind. Die betreffenden Orte können auch jenseits der Zeit liegen, die wir nicht erreichen können, weil sie verstrichen

Vernissage

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