Doch selbst wenn sich hier bereits eine leichte Opposition von Mensch und Natur anbahnt und der Mensch sich ein göttliches Gegenüber geschaffen hat, herrscht in diesen matrisch geprägten Kulturen noch immer ein ganzheitliches Denken vor, in dem alle Kinder der Erdmutter, also alle Naturerscheinungen und Lebewesen, das gleiche Recht auf Existenz teilen.

Der weiblichen Gottheit, die mit Fruchtbarkeit und Leben assoziiert wird, begegnen wir auch in den Anfängen unserer Kultur wieder, als große Göttin des jungsteinzeitlichen Catal Hüyüks, als Nammu in Sumer, als Tiamat in Babylon, Astarte in Phönizien, Isis in Ägypten, Prithivi in den indogermanischen Veden, und in Griechenland und Rom als Gaia, Rhea, Demeter und schließlich auch Artemis und Diana, die die Göttin als Herrin der Tiere und Hüterin der Schwangeren und Mädchen repräsentieren.

Doch in dem die Fruchtbarkeit und damit auch die lebendige, lebensspendende Seite der Natur als weiblich attributiert wurde, war der heraufziehende paradigmatische Bruch nahezu unausweichlich geworden.  Denn damit war nicht nur die Natur als ein Gegenüber gestaltet worden, an das man sich rituell wenden konnte, sondern gleichzeitig war die Bühne bereitet worden für die geschlechtliche Opposition im Religiös-Numinosen. So dämmerten mit den Hochkulturen folgerichtig auch die patriarchalischen Ordnungssysteme herauf. Eine ihrer wichtigsten Strategien dieser männlichen Systeme war das „Teile und Herrsche“:
Während die sumerische Inana und die babylonische Ishtar als Göttinen der Liebe noch deutliche Züge der Großen Göttin trugen und im Pantheon eine maßgebliche Rolle spielten, erscheinen Aphrodite und Venus bereits als deutliche Abspaltungen von Teilaspekten, die lediglich den verführerischen, noch nicht geschwängerten Zustand der Göttin repräsentieren.

Durch die Aufspaltung der Göttin in ihre verschiedenen Aspekte wurde ihre allumfassende Bedeutung und damit ihre Macht eingeschränkt. So wurde die Erdmutter mehr und mehr zurückgedrängt durch die männlichen ordnenden Himmelskräfte, die vorderasiatischen Wetter- und Sonnengottheiten, durch Enki, Marduk oder Baal, durch Vatergottheiten wie Amun Re oder Zeus und schließlich auch durch JHWH, den patriarchalischen Gott der monotheistischen Buchreligionen.
Aber selbst wenn es vereinzelte, groteske Versuche gab, die weibliche Fähigkeit des Gebärens auf männliche Figuren zu übertragen, wie die Schenkelgeburt des Dionysos durch Zeus, die Rippengeburt der Eva, die Übertragung der Fruchtbarkeit auf Osiris, der durch Isis wieder zum Leben erweckt wurde, blieb das große Mysterium des Lebens auf der weiblichen Seite der Wirklichkeit. Es blieb dem Mann verschlossen, der entsprechend versuchte, diese sich ihm entziehende Macht zu kontrollieren.

Bei dem großen Anthropologen Joseph Campbell heißt es in seiner Mythologie der Urvölker, Bd. 1 des Werks Die Masken Gottes, S. 78:
„Die Angst vor der Frau und das Geheimnis ihrer Mutterschaft sind für den Mann nicht weniger nachhaltig prägende Kräfte gewesen als die Ängste und Geheimnisse, die die Welt der Natur selbst für ihn barg. In den Mythologien und rituellen Überlieferungen unserer gesamten Art lassen sich unzählige Beispiele für die unverdrossenen Bestrebungen des Mannes finden, sich erfolgreich (…) zu diesen zwei fremden und ihn doch zuinnerst nötigenden Kräften zu verhalten: Frau und Welt.“

Das große Geheimnis des Lebens bleibt trotz aller Aneignungsversuche in der Sphäre der Frau. In der Antike belegen das z.B. die bedeutenden Mysterien zu Sais und Eleusis, das eine der Isis geweiht, das andere der Demeter, die, nachdem ihre Tochter Persephone beim Blumenpflücken von Hades geraubt und zu seiner Braut gemacht worden ist, allen Pflanzen und Tieren verbietet zu wachsen, Früchte zu tragen und sich zu vermehren. Dadurch zwingt sie schließlich selbst den Göttervater Zeus in die Knie, der Hades befiehlt, Persephone frei zu lassen. Sie kehrt wiedergeboren auf die Erde zurück als Kore, das unberührte Mädchen.


Auch im patriarchalischen Christentum bleibt es einer Frau vorbehalten, die Mutter Gottes zu werden. Doch um sie zu entmachten, erscheint sie nicht als mächtige und handelnde Große Göttin, nicht als Demeter, sondern als die verführerische, jungfräuliche und erduldende Persephone/Kore, als Maria, die stellvertretend Gottes Sohn gebiert. Durch diese neue Paradoxie ist das christliche Bild der Frau geprägt, die, wenn sie nicht als Hure gelten möchte, jungfräulich und keusch aber gleichzeitig mütterlich sein sollte.

Präsentation
Vernissage
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