Demeter sagt: Nein! - Einführungsrede zur Ausstellung "Christine Carstens: ...dreh dich noch einmal um…Moment"
von Dr. Thomas Piesbergen

Die Ausstellung „...dreh dich noch einmal um…Moment“ von Christine Carstens findet statt im Rahmen des Jahresthemas DREHMOMENT des Einstellungsraum e.V.

Das heutige Verhältnis des Menschen zur Natur ist ein zutiefst zwiegespaltenes, mitunter geradezu paradoxes.

Wir leben und agieren tagtäglich in einem Kontext, der von der Opposition von Natur und Kultur gekennzeichnet ist, wir nehmen also die Natur als eine klar abgegrenzte Gegenwelt zu der selbstgeschaffenen Welt des Menschen wahr.
Zwar ist es inzwischen ein weitgehend anerkannter Allgemeinplatz, daß auch der Mensch lediglich ein höher begabtes Tier ist, und damit ein Teil der Natur, doch unsere natürlichen körperlichen Funktionen werden von dem Gros der Menschen in postindustriellen Kontexten trotzdem als störend und unangenehm empfunden und unterdrückt, körperliche Merkmale werden korrigiert oder sogar entfernt und die natürliche Gestalt des Körpers wird, vergleichbar mit der Erfüllung einer industriellen Norm, der aktuellen Mode angepasst.

Der soziale Druck, den diese Kontrolle des Körpers auslöst, betrifft vor allem junge Frauen, die versuchen, ihre angeblich mangelhafte natürliche Erscheinung zu optimieren durch Entfernung von Körperbehaarung, Absaugen von Fett, durch das Färben, Glätten oder Locken der Haare, die Maskierung der Haut, die Überdeckung des Körpergeruchs und schließlich mittels Operationen an Kinn, Nase, Brust, Po und Schamlippen.
Die Natur unserer Körper ist zu etwas geworden, daß es zu bekämpfen und  zu unterwerfen gilt. Sie ist zu einem Feind geworden, den wir zu disziplinieren oder andernfalls zu verstüm- meln haben.

Die uns umgebende Natur hingegen ist zu einem Selbsterfahrungs-Abenteuerspielplatz für zivilisationsmüde und trend-bewußte Städter degradiert worden, und man tritt ihr nur noch mit einer entsprechenden Ausrüstung entgegen. Und wenn man nicht hiked, kited, mountain-biked, nordic walked, jogged oder rafted sucht man sie in der Regel nur noch auf, wenn man einen Hund zum Pinkeln ausführt.
Auf der Ebene der Werbung und des Wellness-Journalismus wird gerne von einer „inneren Natur“ gesprochen. Die allerdings bleibt, so häufig sie auch herbeizitiert wird, völlig nebulös und wird nur relevant, wenn sie ihre angebliche Entsprechung in gewissen Produkten oder einer bestimmten Art der Freizeitgestaltung finden soll.
Und dann existiert die Natur schließlich noch als Sehnsuchtsraum des Eskapismus, der unerreichbar, weil nicht existent, jenseits des blauen Himmels der Werbefotographie liegt.

Zwar wird auch der Begriff der Ganzheitlichkeit immer häufiger theoretisch angeführt, leider zeitigt er aber nur in geringem Umfang Konsequenzen auf unser Verhalten, und wenn ja, dann meist nur als Kaufentscheidung im Supermarkt oder bei der Wahl des Stromanbieters.

Das Verhältnis von Mensch und Natur ist also grundlegend gestört und bewegt sich zwischen den entgegengesetzten Polen von Ekel und Angst einerseits und der Sehnsucht nach Erlösung von allem nur erdenklichen Leid andererseits.

Betrachtet man das Verhältnis von Mensch und Natur mit historischer Tiefe wird schnell klar, daß es im Verlauf der Menschwerdung einen drastischen Paradigmenwechsel der Selbst-wahrnehmung und des Naturverständnisses gegeben haben muß.

In den noch heute beobachtbaren, hierarchielosen Wildbeutergesellschaften, die man in der Regel als Modell zur Rekonstruktion früher prähistorischer Gesellschaften heranzieht, gibt es nahezu keine Trennung zwischen dem Menschen und der ihn umgebenden Natur. Für die Buschmänner der Kalahari z.B. sind alle anderen Naturerscheinungen wie Wolken oder Bäume ebenfalls Buschmänner, nur eben welche, die in einen anderen magischen Zustand übergetreten sind. Es gibt keinen Glauben an eine Götter-, Geister- oder Unterwelt und entsprechend fehlen die darauf abzielenden Rituale, da jeder Mensch unmittelbarer Teil der ihm gleichartigen
Natur ist und er jederzeit Zugang zu ihr hat.


In den komplexeren Wildbeutergesellschaften des Jungpaläolithikums tauchen die ersten Kultfiguren auf, die möglicherweise etwas darstellen, was unserem heutigen Verständnis von „Göttern“ vergleichbar ist: weibliche Figurinen mit deutlichen Merkmalen von Schwanger-schaft und Fruchtbarkeit.
In vergleichbaren Kulturen, wie etwa denen der Indianer Nordamerikas, begegnen wir dieser Fruchtbarkeitsgöttin als Mutter Erde, die große Hervorbringerin und Ernährerin allen Lebens.

Präsentation
Vernissage
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