Zwischen den Welten - Eröffnungsrede zu der Ausstellung
"Rahel Bruns: Wagentourette" im EINSTELLUNGSRAUM, Mai 2016,
von Dr. Thomas Piesbergen


In der Geschichte der Wissenschaft, Philosophie und Religion wurde der Mensch immer wieder dargestellt als gefangen in einer Zwischenwelt, einem Bereich der Transition oder selbst in einem Übergang befindlich.

So entwarf  z.B. Thomas von Aquin in der Mitte des 13. Jhd. in seinem Werk Über die Einheit des Geistes ein Menschenbild, das den Menschen als ein Wesen begreift, das sich abmüht, von einem tierischen Zustand in einen engelsgleichen überzugehen, sich aber erst auf halben Wege dahin befindet - ein Paradigma, das sich bis in die Neuzeit hartnäckig behauptet hat.

In den meisten Wissenschaften wird der Mensch zwischen den Extremen der Mikro- und der Makrosphäre verortet:

In der Physik bezeichnet die Mikrosphäre den Bereich der Moleküle, Atome und Teilchen, die Makrosphäre hingegen das kosmische Geschehen. Da sich beide Bereiche dem menschlichen Zugriff und Begreifen weitgehend entziehen, war es notwendig, eine Mesosphäre als menschliches Zwischenreich zu postulieren. Zugleich bezeichnet die Mesosphäre einen Ausschnitt der Wirklichkeit, in dem ein definiertes Ensemble von Naturgesetzen gilt, die in Mikro- und Makrosphäre mitunter ihre Geltung verlieren.1

In der Geschichtsschreibung wird die Mikrosphäre des inneren, individuellen Erlebens den großen historischen und politischen Bewegungen der Makrosphäre gegenübergestellt. Der Mensch, der aber tatsächlich an beiden teilhat, agiert in der Mesosphäre der Erfahrung.2
Im Bereich der Psychologie und der Philosophie stehen sich immer wieder die Innen- und die Außenwelt des Menschen gegenüber, eine Polarität die Niederschlag in den konkurrierenden Denksystemen des Objektivismus und des Subjektivismus findet.

Nach der Handlungstheorie, die diese Dichotomie zu überwinden versucht, versorgt die Außenwelt den Menschen mit externen Impulsen, auf die er im Erfahrungsraum der Handlung reagiert und sie in der Innenwelt der Erinnerungen und Emotionen umformt und speichert. Hier erscheint der sozial agierende Mensch als eine Schnittstelle, als ein Prozessor, ein Handlungsagent, der zwischen die materielle und die geistige Welt geschaltet ist. 3


Das Phänomen der Erinnerung wiederum verweist auf das Problem der Zeit: in den Reden des Buddha wird der Mensch als die Summe all dessen bezeichnet, was er in seinem Leben gedacht hat, also als etwas, das aus einer schwer zu fassenden und abzugrenzenden Vergangenheit in die Gegenwart tritt. Vor ihm allerdings liegt eine ungewisse, ebenso grenzenlos und unfassbar erscheinende Zukunft. Der Mensch selbst ist also gefangen in der Sphäre einer unendlich kleinen Gegenwart, in der die Zukunft und die Vergangenheit als reine Fiktionen erscheinen, und die sich auszeichnet durch unablässigen Wandel, als Inbegriff ewiger Transformation.

In der Kulturtheorie sehen wir den Menschen schließlich als kaum fasslichen Mittler zwischen Natur und Kultur, und seit sich der Mensch die Frage nach dem Ursprung seiner Kultur stellt gibt es den Widerstreit derer, die die Kultur als reines Symptom der Anpassung an natürliche Erfordernisse sehen, und ihren Gegnern, nach denen der Mensch die Natur anhand seiner kulturellen Strukturen ordnet. Doch gleichgültig ob man sich nun dem Lager der kulturellen Vernunft zugehörig fühlt, oder das Lager der Kulturmaterialisten vertritt - immer steht der Mensch als handelndes Tertium Quid zwischen zwei einander gegenüberstehenden Sphären: in diesem Fall der natürlichen Umwelt und der künstlichen, vom Menschen geschaffen Umwelt.4

1 Rupert Riedl, Über die Biologie des Ursachen- Denkens - Ein evolutionistischer, systemtheoretischer Versuch,
   Mannheimer Forum 78/79, Mannheim, 1979, S. 18 ff.
2 Paul Münch (Hg.): "Erfahrung" als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, Historische Zeitschrift Heft 31,
   München, 2001
3 Ernst Cassirer: Zur Logik der Kulturwissenschaften, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1961 S.109
   und: Pierre Bourdieu:   Zur Soziologie der Symbolischen Form, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1970, S. 126 ff.
4 Marshall Sahlins: Kultur und Praktische Vernunft, Suhrkamp Verlag, Reihe: Theorie, Frankfurt a.M., 1981

Vernissage
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