EINATMENAUS
Waltraut Klessner und Ina Schlafke
Redetext : Sigrid Puntigam

Geehrte Gäste,
ich freue mich, Sie zur Ausstellung EINATMENAUS von Waltraut Kiessner und Ina Schlafke begrüßen zu dürfen.  Die Künstlerinnen greifen das Jahresthema des Einstellungsraumes, das  Viertaktmotorprojekt, in ihren Installationen auf und führen unterschiedliche Positionen vor.  Sie setzen den mechanischen Rhyth- mus der Motorentechnik - die vier Takte des Ottomotors -"Ansaugen / Verdichten / Zünden, Arbeiten/ Ausstoßen" -, ein Stoffwechselprozess, bei dem durch die Explosion des Benzin-Luftgemisches Wärme entsteht und in Bewegung umgesetzt wird, in Analogie zum Rhythmus des Organischen, worauf der Titel EINATMENAUS hinweist.

Im Erdgeschoss sehen Sie Ina Schlafkes Arbeit, die ich Ihnen vorstellen möchte.
Das Fenster des Einstellungraumes legt sich wie eine Membran zwischen die laute, bewegte Außenwelt und die atemlose, stille Bewegungslosigkeit der Innen- welt.  Der Gegensatz zu dem stillen Leben, dieser anderen Wirklichkeit der Installation wird schlagartig klar.
Buchenstämme verspannen und vergittem wie ein Gewebe den Raum und machen ihn dadurch bewusst erfahrbar.  Die Natur wird in das Innere geholt, der Raum wirkt wie von ihr gestützt und irritiert uns, weil es auf den ersten Blick unsere Vorstellung von der angeblich so fest und stabil gebauten Architektur in Frage stellt.  Bilder von dem Ursprung der Architektur wie der "Urhütte" des Abbé Laugier oder von der mit Säulenwald und Baum verglichenen gotischen Kathedrale (Goethe vor dem Straßburger Münster), kommen einem in den Sinn. 
Zielgerichtet, stolz streben sie vertikal wie Bäume, die in den Himmel wachsen nach oben zur Decke, die sie zu durchstoßen scheinen.  Aber diese eindeutige Richtung, dieses Aufbäumen wird gestört, unterlaufen durch die waagrecht angeordneten Querläufer, die Horizontalen.  Sie behindern, unterbrechen das Emporwachsen.  Manche bilden Sperren, Grenzen, andere verlaufen wie Irrläufer ins Leere, verlieren sich im Nichts.  Einige treffen und kreuzen auf ihrem Weg die Bahn eines anderen.  Es kommt zu Verzweigungen.

Der Baum als Bedeutungsträger in der Kunst und Kulturgeschichte bietet ein breites Assoziationsfeld, sei es als Lebensbaum, Baum der Erkenntnis, als Naturgottheit usw.  Solch harmonischen, angenehmen Vorstellungen vom Wald als ‘Grüner Lunge' oder vom Baum als schützendem Dach tauchen jedoch bei der Betrachtung der Installation von Ina Schlafke nicht auf, weil tote, abgestorbene Stämme, die vielleicht aus einem sauren Wald stammen, dieses bizarre Gerüst formen.  Sie tragen kein Blattwerk mehr, sind kahl und brutal auf ihre Gerüststruktur reduziert.  Als ob eine graphisch-Iineare Struktur der Zeichnung raumbezogen umgesetzt und zum körperlich plastischen Zeichen sich wandelt.
Die Stämme stehen nicht planlos vereinzelt im Raum, sondem bilden ihrerseits wieder Gruppen und Räume im Raum.  Im rückwärtigen Teil formen sie einen Kreis, im vorderen Bereich ein Dreieck.  Assoziationen an magische Orte, Kultstätten und rituelle Räume tauchen auf.

Aber Bäume besitzen nicht nur ein ,Oben', den sichtbaren Teil über der Erde, sondem auch einen verborgen Teil ,ein Unten'.  Die Wurzel, die unverzichtbar lebenswichtige Verbindung zur Erde,  sitzt unsichtbar unterirdisch.  Aus dem Mutterboden beziehen Bäume die Nahrung, die Kraft für das Wachstum, die Bodenhaftung und den Halt.  Die Stämme Ina Schlafkes jedoch sitzen glatt und scharf auf dem Kachelboden auf, sind brutal gekappt, ihrer Wurzeln und der Erdverbindung beraubt.
Sie formen eine labile Gerüstkonstruktion, in der wir uns bewegen und die ständig die Gefahr birgt, dass die Balance, das feine Gleichgewicht, bei der kleinsten Störung verlorengehen und alles zusammenbrechen kann.
Dieses sensible Gefüge spiegelt für die Künstlerin nicht nur den Naturzustand, sondem funktioniert ebenso als Seismograph, als Ausdruck der Befindlichkeit der inneren Landschaften, der Seelenlandschaften.
Die Schwelle zwischen Außen und Innen wurde Ina Schlafke angesichts des Höllenschlundes des Vesuvs bei Neapel bewusst.  Fast wie Karl Philipp Moritz, der 1786 aus seinem Alltag nach Italien flüchtete und schreibt: "Bin ich denn wirklich derjenige, frage ich mich oft, der noch vor wenigen Wochen ... wie das Ross in der Mühle alle Tage denselben Kreislauf begann?"
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