Der Parkplatz des Universums - Einführungsrede zu der Austellung "Tan Bartnizki feat. Uwe Kraft: Physiopark", EINSTELLUNGSRAUM e.V., Hamburg, von Dr. Thomas Piesbergen, 06.05.2014

Das menschliche Gehirn, als komplexestes Werkstück der auf Kohlenstoff basierenden Evolution und als bedeutendstes Werkzeug menschlichen Tuns, ist ein Anpassungsorgan.
Seine zentrale Aufgabe, ausgehend von dem primären Riechhirn, ergänzt durch taktile, visuelle und auditive Sinnesorgane, besteht darin, Reize der umgebenden Wirklichkeit aufzunehmen, zu verarbeiten und angemessene Reaktionen daraus abzuleiten.

Im Laufe der Evolution neuraler Strukturen entstanden aus den ersten miteinander korrespon-dierenden Sinneszellen immer komplexere Systeme, die zunehmend zu Rückkoppelungen und irgendwann sogar zu Gedächtnisleistungen imstande waren.

Unter diesen Vorraussetzungen entwickelte sich als höchst effektive Anpassungsstrategie höherer Lebewesen die spielerische Neugier. Sie veranlaßt das Gehirn sich zunächst in zweck-freiem Spiel und ohne existentielle Notwendigkeit mit der umgebenden Wirklichkeit ausein- ander zu setzen. Erfahrungen mit der Umwelt werden nicht mehr erlitten, sondern gezielt provoziert.

Die Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden, können später in Situationen, in denen unter existentiellem Druck rasch gehandelt werden muß, abgerufen und angewendet werden. Durch das Vermeiden des Trial-and-Error-Prozesses in bedrohlichen Situationen, erhalten Lebe- wesen, die mit spielerischer Neugier ausgestattet sind, einen deutlichen evolutiven Vorteil gegenüber Spezies, die in Untätigkeit verharren, bis sie durch existentiellen Druck dazu gezwungen werden, zu agieren.


Beim Menschen, dessen Gehirn mit seinen etwa 100 Billionen Synapsen das komplexeste bekannte System überhaupt darstellt, das wir bisher kennen, hat sich diese spielerische Neugier in einen Wissensdurst und einen Drang nach Erkenntnis gesteigert, der beispiellos ist. Er geht soweit, daß der Mensch sich mit kaum weniger zufrieden geben möchte, als der Antwort auf die Frage nach dem Urgrund allen Seins, der Frage nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit.
Seit der Antike haben sich dazu vor allem zwei entgegengesetzte Strategien durchgesetzt, um diese Frage zu beantworten: die eine ist der nach innen gerichtete Erkenntnisweg der Mystik, der andere der nach außen gerichtete, empirische Erkenntnisweg Wissenschaft.

Die Kunst, also die Hervorbringung von Bildwelten mit eigener Dynamik und implizierter Bedeu- tungslogik, hat ihre Wurzeln in einer Zeit, in der diese beiden Strategien noch nicht voneinander getrennt gedacht wurden. Seit der Trennung von Religion und Wissenschaft, die sich in der Antike vollzog, blieb sie allerdings vor allem der Sphäre der Religion verhaftet.
Im europäischen Kontext emanzipierte sie sich erst während der Renaissance von religiösen Inhalten und bildete auch Profanes ab: Portraits aus der bürgerlichen Lebenswelt, Naturstudien und schließlich auch, jedoch als Ausnahmeerscheinungen, Zeichnungen im Dienste wissen-schaftlicher Überlegungen, wie z.B. die berühmten Skizzen Leonardo DaVincis.


Eine zielgerichtete Bewegung der Kunst auf die Wissenschaft zu wurde erst im Laufe des 20. Jhds. verstärkt vorgenommen, seit sich die Kunst von ihrer Rolle als bloßer Träger von Bild- und Bedeutungsinhalt emanzipiert hat und sich vornehmlich mit den allgemeineren Mechanismen der Wahrnehmung auseinandersetzt, Sehgewohnheiten aufbricht, Rezeptionsroutinen transzendiert und sich in transmediale Kommunikationsstrukturen fortsetzt, d.h. ihre Funktion und Wirksamkeit auch jenseits von Bild oder Objekt entwickelt, wie z.B. in der Prozess- oder Konzeptkunst.

Der Imperativ des uns konstituierenden Anpassungsorgans blieb aber auch hier ungebrochen fortbestehen: die Frage nach den primären Gegebenheiten unserer Wirklichkeit; so ist es auch in dem künstlerischen Ansatz von Tan Bartnizki und Uwe Kraft.


Sie richten den Blick auf die grundlegenden physikalischen Vorgänge, die uns ständig und unmittelbar umgeben, die unsere physische Existenz bestimmen und deshalb für uns nahezu unsichtbar sind - weshalb es viele hunderttausend Jahre gedauert hat, bis der Mensch in der Lage war, sie zu erkennen und zu formulieren.

Da wir sie als unwandelbare Konstanten des Seins hinnehmen, nehmen wir meist nur ihr ausbleiben oder die Abweichung von ihnen wahr. Man könnte sie fast im Sinne von Niklas Luhmann und John Spencer Brown als den blinden Fleck oder die selektive Blindheit bezeichnen,

Die 04. Ausstellung im Jahresprogramm Park&Ride des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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