die Arabesken auf der Rückseite der Karten mit ihren stilisierten Ranken, Blättern und anderen ornamen- talen Verschlingungen gegenüber. Durch die Präsenz, welche die Künstlerin den verbergenden – und üblicherweise verborgenen, weil eben unbeachteten – Kartenrückseiten verleiht, bekommt deren kunstvolle ornamentale Gestaltung ein eigenes Gewicht. Wie auch in anderen Arbeiten, deutet Sabine Mohr hier auf das offene, kultur- und epochen- übergreifende Bezugssystem, in dem ihre Kunst frei flottiert und eine feinstoffliche Dynamik entfaltet: Die aus dem Orient historisch auf Europa einwirkende islamische Kunst schwingt in den Arabesken des Kartenspiels mit und hat sich in unsere Alltagskultur eingeschrie- ben, ein verdeckter Zusammenhang, den die Künstlerin ins Bewusstsein rückt.

Die mentalen Reisen zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, zu welchen ihre Arbeiten als Startrampen der Phantasie anregen, führen bis in die fernen Weiten des Alls. In ihrer Installation MONDFahrt für das Münchner Hotel Olympic 2003, beispielsweise, wurde ein zweigeteilter Mondglobus zum plastischen Dreh- und Angelpunkt einer willkürlichen Vernetzung von losgelösten topografischen Orten auf dem Mond, die mit klingenden Bezeichnungen wie "Mare tranquillitatis" benannt sind. Nicht alle Begriffe, die sie auf dem Globus vorfand, kamen in der raumumspannenden, fiktiven Mondkartierung zum Einsatz, vergleichbar, so Sabine Mohr, mit einem Roman, in dem der Autor, die Autorin historische Wahrheit und Erfindung vereint. Viel wichtiger als jene faktische Eindeutigkeit ist der Künstlerin das Schaffen überraschender,  evokativer, augenöffnender Konstel- lationen, die sich aus den von ihr gefundenen, erfundenen, entdeckten und erkundeten Querver- bindungen zwischen Zeiten, Bildern und Orten generieren.

Belinda Grace Gardner



  Anmerkungen:

1) Vgl. Roland Barthes, "Der "blaue Führer"", in: Mythen des Alltags (Originalausgabe: Mythologies, Paris 1957), aus dem Franz. von Helmut Scheffel, Frankfurt/Main 1964, S. 59.
2) Vgl. Roland Barthes, "Plastik", in: ebd., S. 79.
3) Vgl. Paul Virilio: Ästhetik des Verschwindens (Originalausgabe: Esthétique de la disparition, Paris 1980), aus dem Franz. von Marianne Karbe und Gustav Roßler, Berlin 1986, S. 41.   

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