Deshalb gelang es ihnen das äußere Erscheinungsbild der Stadt zu prägen, während das Innere des Vergangenen und die damit zusammenhängenden Unzulänglichkeiten abgetragen und unter den neuen Oberflächen verborgen wurden. Die Mannheimer Bürger, die den Neubau des Nationaltheaters vorantrieben, stellten sich allerdings auf einem anderen, dem kulturellen, Feld an die Spitze eines „ästhetischen Regimes“, das die Theatergeschichte in Deutschland prägen sollte. Zwar blieb der ausgewählte Vorentwurf von Mies van der Rohe, der sich einer Abänderung seines Vorschlags widersetzte, unberücksichtigt, doch erkannten auch diejenigen, die dem Entwurf von Egon Eiermann bevorzugten: „Dieses Theater wird verbindendes Forum der modernen Gesellschaft.“14  Dies konnte aber nichts daran ändern, dass die „Regime“ im wesentlichen getrennte Wege beschritten, und die Neuordnung der Verkehrswege weitgehend von Architektur- und Ingenieurbüros vorangetrieben wurden, was im linksrheinischen Ludwigshafen dazu führte, dass der 1969 eröffnete „modernste Bahnhof Europas“ bereits 15 Jahre später, vom Fernverkehr abgekoppelt, verwahrloste.15

Objekte und Installationen von Künne konstituieren ein extrem reduziertes Zeichensystem, in das Elemente der Zerstörung sowie Formen der Neukonstruktion einer Stadt und ihrer Infrastruktur in den 1960er in Kurzschrift eingefügt wird. Mit ihrem Künstlerbuch, das auch die in Stahlbeton gegossenen Schwüngen der Brückenauffahrten als Inspirations- quelle offen legt, benötigt man keine Spekulationen, um die Quellen der meandernden Linien auf dem Gemälde, dem Paravent und der Abbildung auf der Einladungskarte16  zu finden. Die linearen Schwünge sind nicht digi- tal erzeugt worden, sie zeigen jedes mal leichte Variationen, die im Reper- toire der Künstlerin Spuren hinterlassen haben. Für mich ist das ein Zeichen, dass die in den 1960er Jahren in Beton gegossenen Pläne nicht prinzipiell negativ bewertet werden, sondern sich durch wiederholte Benutzung und Ansicht in den Duktus der Nachgeborenen eingearbeitet haben. Dabei wurde der damalige Eingriff, eine Heterotopie im urbanen Organismus, der durch den zeitlichen Abstand erträglich geworden ist,
internalisiert. Zudem wirken auch die ungleich brutaleren heutigen Eingriffe in die städtebauliche Substanz, die unter dem Diktat von Renditeansprüchen und durch eine immer fragwürdigere öffentliche Legitimation vorgenommen werden, relativierend. Die Übertragung der Prinzipien des Betonbaus auf die Herstellung der Objekte mit Metallarmierung und Pappmaché zeigt eine nachträgliche Identifizierung mit den Baustoffen der Moderne, deren Scheitern zum Ansporn für die Herstellung eines neuen Modells geworden ist, mit dem sich die Künstlerin in den hybriden Zwischenbereich der genuin von anderen Branchen wie Bauunternehmen, Auftraggeber, Architekten, Designern, Ingenieuren und Handwerkern belegen Felder des Bauens vorwagt. Darin formuliert sie implizit auch einen Anspruch auf Teilhabe an der neuen Kultur des Aushandelns öffentlicher Bauvorhaben, wie sie z.Zt. in Stuttgart (Stuttgart 21) und Hamburg (Gängeviertel) massiv eingefordert wird. Das politische Regime der Kunst sollte dem ethischen und ästhetischen Regime dringend die nötigen Einflussmöglichkeiten gewähren, denn es gab ja schon einmal den „modernsten Bahnhof Europas“ als Teil einer Verkehrsplanung aus der Sicht von Autofahrern.
14 Baudirektor Horst Linde, zit. nach ebd., S. 12
15 ebd., S. 66
16  Dieses zeigt das für die Ausstellung vorgesehene verglaste Bild nach einem Einbruch in das Studio der Künstlerin, bei dem die Scheibe zertrümmert worden war.
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