GANGARTEN:
Verdichtung
des Jahresprogrammes Schalten
und Walten des EINSTELLUNGSRAUM
e.V.
03.08.2012 |
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Das
Reiterstandbild ist in der Moderne ins
Hintertreffen geraten. Die wenigen Menschen die
reiten, möchten nicht mehr auf Pferden abgebildet
werden. Obwohl es sie tatsächlich noch gibt,
vereinzelt, sogar in Städten. Erst kürzlich traf ich zwei Freundinnen, die auf St. Pauli wohnen. Wir sprachen über Laternenumzüge, weil man in meinem Alter immer über Dinge redet, die der Vergangenheit angehören. Laternenumzüge gehören unbedingt dazu. Damals hatten die Laternen auch echte Kerzen, damit es eine realistische Chance gab, dass mindestens zwei lichterloh in Flammen aufgingen - leere Versprechungen, die die Kinder bei der Stange hielten. Heute haben die Laternen langweilige Birnchen. Aber das war es nicht, was in erster Linie gegen die Umzüge sprach. Zu voll, meinte Sarah. Nie mehr würde sie mit ihrem Kind einen Laternenumzug besuchen. Der Krach, die Hektik. Dann machte sie eine Pause, ihre Gesichtszüge verfinsterten sich. Sie sagte säuerlich: Und dann auch noch die Reiterstaffel! Die Reiterstaffel? fragte ich irritiert. Sarah nickte. Ich wusste zwar, dass Hamburgs Polizei einen schlechten Ruf hatte. Zu den harmlosesten Fußballspielen wurde eine Reiterstaffel geschickt. Bei vierjährigen Kindern hingegen konnte ich mir den Einsatz überhaupt nicht vorstellen. Hatte man Angst, der Stadtteil erziehe lauter kleine Autonome, die zu dritt Steine warfen, zu dritt, weil ihre Kinderhände zu |
klein
und
ihre Körper zu schwach waren,
um so etwas wie einen Pflasterstein auch nur zu
bewegen? Betty
schüttelte den Kopf. Auch sie sei mit ihrer
Tochter bei dem
Laternenumzug gewesen, glaube aber ehrlich gesagt,
die Reiterstaffel,
sei im Grunde nur ein Mann auf einem Pferd
gewesen. Könne sein, meinte
Sarah. Eine
sehr kleine
Reiterstaffel. Eine Ein-Mann-Reiterstaffel. Davon hatte ich noch nie gehört. Aber ich wohnte auch in einem anderen Stadtteil, einem dummen und unpolitischen, in dem die Leute dumm sind und dauernd die Falschen wählten. In einem dummen und falsch wählenden Stadtteil brauchte man keine Reiterstaffel. Betty insistierte: Es war wirklich nur ein Mann auf einem Pferd. Ein Mann auf einem Pferd. Ich dachte an Italien. Selbst dort gehörten Männer auf Pferden der Vergangenheit an. Dachte man an die Zukunft, würden vielleicht irgendwann mein Bruder und ich in Bronze gegossen kurz hinter dem Brenner auftauchen, die Helden der Moderne: in kurzen Hosen und mit angewinkelten, weil angekokelten Beinen. Mittlerweile hege ich den Verdacht, die Hufeisen der damaligen Pferde waren von Fiat. Irgendein besonders leitfähiges Material, das den Tieren die Füße verbrannte, insbesondere den rechten. Ehrlich gesagt -, erwiderte Betty zögerlich und blickte zu Sarah, die sie nun eigentlich nicht kritisieren wollte, ich glaube, der Reiter auf dem Laternenumzug war einfach nur Sankt Martin. |
Fotos der Veranstaltung
Ina Schlafke |
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Auszug
aus dem Konzept
03.08.12 Grob gesagt, denken wir dabei an die Wechsel zwischen Schritt, Trab und Galopp der Pferde, die dann den Gängen im Auto oder anderen Fahrzeugen den Namen gaben. Alle diese Bewegungen, Gangwechsel und die damit verbundene Aufmerksamkeit und Kommunikation, greifen in die "Verkehrsflüsse" ein und bewirken Beschleunigungen und Verlangsamungen bis hin zum Kollaps durch Unfall oder Stau. Die Aufmerksamkeit, die die Entscheidungen für die Gangwechsel bedingen, ist ja nicht mehr nur vom Gelände und dem Zustand der Straße abhängig, sondern in der Stadt auch von der Beobachtung, d.h. Beurteilung eines sehr komplexen Verkehrsgeschehens, in das sich Menschen, Eigenschaften und Temperamenten entsprechend einschalten. (...) |
Wie orientieren sich
Menschen in der
Stadt? Wie geschieht das Schalten
im eigenen Kopf, das dann (auf welche Weise?) zum
,richtigen' Schalten
im Auto führt? "Welche sensorischen und kognitiven
Fähigkeiten
benötigen wir dafür?" (...) Die Urform der "Schalte", jener Stab, mit dem der Fährmann das Boot dirigiert, kehrt in abgewandelter Form in allen technischen Weiterentwicklungen von Schaltelementen wieder: Bei der Aufreihung der Zahnräder greift der Stab, der über dem Getriebe liegt, immer das entsprechende Zahnrad heraus, um die gewünschte Kombination aus Geschwindigkeit, Gelände/Kraftaufwand zu realisieren. .... Das Formenrepertoir ähnelt sich. Wie kommen diese Modifikationen zustande? Elke Suhr, unter Verwendung der Protokolle der Vorstandssitzungen des EINSTELLUNGSRAUM e.V., 2012 |
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek | |
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