Baustellen
der Evolution folgen Katastrophen Johannes Lothar Schröder über die Ausstellung Wilde Mischung von Antje Bromma und Hans Brückner I. Dialog mit Material Beim Betreten des
Einstellungsraums fällt der Blick auf ein Konglomerat
von Material, unter dem Rotlicht hervorscheint.
Erkennbar ist ein Industriefilz, in den runde Löcher an-
und ausgeschnitten sind, ein mit Silberfolie überzogenes
Kunststoffgewebe sowie Plastikfolie und Schaumstoff.
Darüber verstreut sind Reste eines Pergolavorhangs aus
Holzröhrchen und aus geschreddertem Papier
zusammengebundene Bommel, wie sie einen herbstlichen
Flugdrachen schmücken könnten. Bei genauerer Inspektion
bemerkt man, dass diese Materialien über zwei Stühle
geschichtet wurden, wodurch das Ganze einer
improvisierten Unterkunft gleicht. Eine wärmende
Rotlichtquelle und ein Boden aus Rindenmulch laden dazu
ein, hineinzukriechen, doch lassen die möglichen
Eingänge gerade noch ein Kleinkind durch. Das
entstandene Gebilde kann also bestenfalls als Modell
-denn als Iglu- funktionieren, wenn man es so bezeichnen
wollte. Darüber schwebt die Zusammenballung einer
früheren Installation von Antje Bromma1.
Wegen der Position in der Luft und über der gemeinsamen
Bodenarbeit verhält sich das Objekt wie ein geistiges
Extrakt oder ein spirituelles Apercu zu der Schichtung
am Boden. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die
von Bromma gesammelten, überwiegend kleinen und
bisweilen winzigen Bestandteile in einem Gewebe
zusammengefasst sind und sich von den eher
großflächigen und deckenden Zutaten des Gehäuses
abheben.
Sowohl Brückner als
auch Bromma sammeln unterwegs Fundstücke. So hat
Brückner die Silberfolie nach einer
Landwirtschaftsausstellung auf der Oktoberfestwiese in
München aufgelesen, später im Studio ein Raster aus
quadratischen Löchern hineingeschnitten und sie nach
Hamburg geschickt. Auf diese Weise begann ein Dialog mit
Material, aus dem diese
|
gemeinsame
Ausstellung hervorging. Bromma testete die Möglichkeiten
dieser Vorgabe, indem sie die Folie auslegte, faltete,
rollte, zusammenquetschte und mit Spielkarten oder Flocken
aus geschredderten Dokumenten bestreute. Eine zweite Runde
läutete die Zusendung eines Abdeckfilzes ein, in den
Brückner runde Löcher geschnitten hatte. Eine ebenfalls
aus München gelieferte lilafarbene Schaumstoffmatte
leitete das Schichten und damit die Annäherung an einen
nomadischen Aufenthaltsort ein, der in der Ausstellung
Gestalt annahm. Die zugesendeten Abbildungen aus
München mit einer Maske und der Figur eines
Harpunenfischers vertieften diese Assoziation mit
archaischen und stammesgeschichtlichen Behausungen und
betonten eine improvisierende Arbeitsweise, deren
Gestaltungs-möglichkeiten sich über die rationalistische
architektonische Planung von Innen- und Außenräumen2
hinwegsetzte. Hätte diese Herangehensweise nicht schon
Eingang auch in die Architektur gefunden, deren
Protagonisten einmal als Antreiber der Postmoderne
fungierten, so würden wir heute durch diese Installation
überrascht. Doch möchte ich die Aufmerksamkeit nicht
primär auf diese noch nicht lange zurückliegende Phase der
Kunstgeschichte lenken, sondern weiter auf das sich seit
dem Dadaismus vertiefende Verhältnis von Künstlern zu
Abfällen und Überresten zurückblicken, das seit dem
Neo-Dada in den 1950er Jahren immer wieder Konjunkturen
erlebt hat und wie hier aktuell weiterhin Spielräume
öffnet. II. Das Dokumentarische löst das Schöpferische ab "The Dada Painters and Poets: An Anthology"* erregte 1951 großes Aufsehen unter den bildenden Künstlern, die - angeregt durch die von dem Autor und Maler Robert Motherwell ausge-sprochene Wertschätzung gegenüber typographischen Experimenten, Lautgedichten und Ready-Mades - die Wirkungsmöglichkeiten von Zeit in der bildenden Kunst entdeckten und in der Folge begannen, experimentelle Installationen und Happenings zu realisieren. Hierbei griffen sie auf bereits vorhandene Materialien, Fundstücke, die Ästhetik von Waren, Versatzstücke von Typographien und das Layout von Zeitungen, Zeitschriften und Werbung zurück. Man könnte sogar eine Parallele zur Renaissance ziehen, in der sich eine Wertschätzung für antike Fundstücke erst zu entwickeln begann. Die beim Ausschachten zutage beförderten Überreste der Antike galten bis |
Die 03. Ausstellung im
Jahresprojekt HYBRID
des EINSTELLUNGSRAUM
e.V.
|
* Robert Motherwell (editor): The Dada
Painters and Poets: An Anthology, New York 1951 |
1 Vgl. meine Ausführungen zu
ihren Arbeiten 2008
www.einstellungsraum.de/archiv_bromma1.html 2 Die Perforierung der Folie und des Filzes parodiert auch die gerasterten Fassaden von Hochhäusern, die hier in einer aufgeweichten Variante aufgelegt werden |
Vernissage |
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