vielleicht die gleiche Entfernung zurŸckgelegt, aber die zehn Minuten an der Hauptstra§e sind wesentlich lŠnger und mŸhsamer, als die zehn Minuten im Park. Die Schwierigkeit besteht nur darin, die Menschen fŸr diese konzentrierte Wahrnehmung ãeinzufangenÒ, sie an einen besonderen Ort zu lotsen oder ihnen einen besonderen Ort zu erschlie§en; ihr abstraktes Bild, dass sie aus der Ferne gewonnen haben, zu Ÿberwinden. Wenn die Leute erst einmal da sind, wenn man sie ãgewonnenÒ hat, dann kann man sie nach zehn Minuten eigentlich allein lassen. Es setzt die Fantasie ein, eine ãLšsungÒ, ein Entdecken von Neuem und Vernetzen mit bisher erlebten.
Seit ungefŠhr Õ98 bin ich auch im stŠdtischen Raum unterwegs. Hier ist es ungleich schwerer durchgehende Geschichten und eine durchgehende Verfasstheit bei Spaziergangsteilnehmern zu erzielen, da man ja in der Alltagswelt unterwegs ist und durch viele Ablenkungen die Wahrnehmung immer wieder in den Alltag abgleitet. Es ist hier schwerer kŸnstlerisch zu arbeiten, als in einem Tagebaugebiet. Ein wichtiger Aspekt ist hier, Ÿber einen Spaziergang die Struktur eines Stadtteils zu vermitteln und VerknŸpfungen herzustellen, die vielleicht rŠumlich ganz nah sind, aber die nie so zusammen gesehen werden. Im Leipziger Osten gab es z.B. eine ehemalige Bahntrasse, vom jetzigen Lene-Voigt-Park bis zur S-Bahn-Haltestelle Anger-Crottendorf. Zwei SpaziergŠngen fŸhrte ich dieser Bahntrasse entlang. Die Leute mit denen ich unterwegs war, haben alle in der NŠhe gewohnt und wussten, dass es diese Bahntrasse gibt. Aber sie haben sie vorher nie ãgesehenÒ. Z.B. als eine VerknŸpfung von BrachflŠchen und GrŸnflŠchen, als ein die Stadtteile zusammenhaltendes Band. Jetzt wird dort eine GrŸnverbindung gebaut. Hier wird deutlich, dass man das GefŸge einer Stadt mitunter nur marginal begreift, obwohl man sich tagtŠglich darin bewegt.

FŸr diese Erfahrungen mache ich mich immer wieder auf den Weg. Auch alleine, wie z.B. bei meiner Wanderung von Leipzig nach Kšln durch Kleingartenkolonien. Bei dieser Wanderung habe ich mich auf die ãSuche nach dem TaschentuchbaumÒ begeben und mir damit eine Art Auftrag, eine ãRahmengeschichteÒ fŸr meine Wanderung gestellt. Der ãTaschentuchbaumÒ ist kein Fantasieprodukt wie  z.B. der "Limonaden-
baumÒ, den Pippi Langstrumpf in ihrem Garten stehen hat; es gibt ihn wirklich. Der Taschentuchbaum (Davidia involucrata), auch Taubenbaum
genannt, ist eine aus China stammende Laubbaumart. Der Name stammt von den gro§en wei§en BlŸten, die wie TaschentŸcher bzw. von weitem gesehen auch wie ein Schwarm wei§er Tauben in den €sten hŠngen. Den Taschentuchbaum gibt es seit ca. 100 Jahren in Deutschland und steht sicher nicht in KleingŠrten, dort wachsen in der Regel ObstbŠume. Den Taschentuchbaum habe ich auf meiner Wanderung schlie§lich gleich zweimal gefunden, in Kassel- Wilhelmshšhe und bei Kšln. Aber die Frage, ob dieser besondere Baum in deutschen KleingŠrten zu finden sein wŸrde, oder nicht, war eigentlich nur ein TŸršffner. Viel wichtiger war mir, etwas Ÿber die GŠrtner in diesen Anlagen herauszufinden. Vor allem wollte ich wissen, welche Bedeutungen die Pflanzen fŸr KleingŠrtner heute haben, welches Wissen sie Ÿber Pflanzen besitzen.
 
Ich bin Ÿberall sehr herzlich empfangen worden, wurde nach Hause eingeladen, durfte teilweise auch bei ihnen oder in ihrer Laube Ÿbernachten. Sie sind mir sehr vertrauensvoll begegnet, obwohl ich fŸr sie ja ein Wildfremder war. Dass lag sicherlich an der Langsamkeit mit der ich als Wanderer zu ihnen kam. Wer etwas Bšses im Schilde fŸhrt, z.B. klauen will, der kommt mit dem Auto und nicht zu Fu§. WŠre ich mit dem Auto oder mit dem Zug von Station zu Station gefahren, dann wŠre ich zwar schneller gewesen, aber ich wŠre da, wo ich hin wollte, nie angekommen. Die TŸren wŠren mir verschlossen geblieben. Menschen ãaufzuschlie§enÒ kšnnte man in diesem Sinne vielleicht als eines der Hauptziele der ãSpaziergangswissenschaftÒ bezeichnen.

Weitere Infos unter: www.atelier-latent.de
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