Johannes Lothar Schröder

Teilhabe und Heterotopie des Urbanen

Repräsentation in der Krise

Wer gestaltet eigentlich Räume? Sind es Architekten, Innenarchitekten, Designer oder letztlich die Individuum, welche die Vorgaben nach ihrem Geschmack und Gutdünken überformen. Wie balancieren sich persönlicher Liebensstil und die Vorgaben einer Epoche aus?

Inneneinrichtung

Bei der Besichtigung von Schlössern, Burgen, Palästen oder Klöstern begegnet man dem Personal der Tourismusverbände und Denkmalverwaltungen, das ausgebildet wird, die repräsentativen Räume kunsthistorisch zu erläutern. Geht die Führung auch durch „private“ Gemächer - wozu immer diese auch gedient haben mögen -  so ändert sich der Ton. Es werden Personen genannt, die hier gewohnt oder übernachtet haben. Man steht also unerwartet im Schlafgemach des Fürsten zu Kappenberg oder im Zimmer der Prinzessin Franziska von Schlochtern. Auch kann man erfahren, dass in einem bestimmten Zimmer Papst Innozenz auf der Durchreise übernachtet hat. Ich frage mich allerdings, ob Übernachtungen tatsächlich relevante Auswirkungen auf den Raum gehabt haben und von welcher Bedeutung diese heute noch sein können? Außer dem Staunen ahnungsloser Besucher liegt wohl kaum ein Befund vor. Gastgeschenke mag der Durchreisende mitgebracht haben und ganz sicher hat er einige Schuppen und Haare verloren. Mögen jenseits kriminalistischen Spürsinns noch Dinge vorhanden sein, sind sie wohl in einer Sammlung gelandet. Auch ausgestellte Möbel sind nicht unbedingt aus der fraglichen Zeit. Man darf also Zweifel haben, ob sich das Leben derjenigen, die in den besichtigten Räumen gelebt haben, in der heutigen Ausstattung spiegelt. Selbst repräsentative Porträts legen die alltäglichen Umstände nur ansatzweise offen. Waren nicht manche Personen wenigstens etwas unordentlich, fragt man sich, wenn man heute tadellos
aufgeräumte, gänzlich von der Innenarchitektur beherrschte  Räume - etwa in Zen-Klöstern - zu Gesicht bekommt. Auch wenn Personal und Aufteilung der Räume eines Schlosses oder eines Klosters mit Speisesälen, Bibliothek, repräsentativen Räumen etc. die Ordnung erleichtern, umgibt sich selbst der größte Purist irgendwann mit Hinterlassenschaften, so dass nicht ausschließlich gestalterische Gesichtspunkte dominieren müssen. Erst ihre ausstellerische Herrichtung konstruiert eine Inneneinrichtung, die wegen vorhergehender Verkäufe, Zerstörung, Raub etc. meistens notwendigerweise ergänzt werden muss, um ein eindrucksvolles Bild abzugeben. Dazu kommen Anpassungen und Umbauten im Zuge von Umnutzungen. so dass der Zustand der meisten historischen Räume mit Dekorationen und Ausstat- tungen verschiedener Herkunft und Zeitalter als hybrid angesehen werden kann.

Heute sind Räume, die nur mit den nötigsten Möbeln ausgestattet sind, ein Luxus. Jemand, dessen Aufmerksamkeit aus beruflichen oder sonstigen Gründen mit den Signalen einer ausufernd angefüllten Stadt und Arbeitswelt ausgelastet ist, wünscht sich in einer entleerten Umgebung das Durchein- ander hinter sich zu lassen. Dem kommen auch Museen und Ausstellungen mit großen hellen Räumen und sparsam verteilten Exponaten entgegen. Puristische Vorstellungen übertragen sich auch auf zeitgenössische Wohnungen, deren tadellose Einrichtungen Wertigkeit vermitteln. Paradoxer- weise werden Küchen nicht nur zum Kochen benötigt, wenn dem prestige- trächtigen Ausstellungsstück repräsentative Bedeutung zukommt. Um die Ähnlichkeit mit Abbildungen in Lifestyle-Magazinen zu wahren, lassen Gastgeber schon mal den Caterer kommen, um Gäste zur Besichtigung des sozialen Aufstiegs zu bewirten. Im Zuge dieses Lebensstils kann sich die Auffassung dessen verändern, was als authentisch gilt. Wäre es nicht verrückt, wenn man auf die Idee käme, eine solche Praxis auf Gebäude auszuweiten und sie aus rein ästhetischen Gründen in die Gegend zu stellen oder Straßen und Brücken allein wegen der hübschen Schleifen, die sie in die Landschaft ziehen zu erbauen.2 Gerade diese absurde Annahme bietet die Möglichkeit, stilistische Lösungen zu überprüfen, wie sie in Form modellhafter Paradigmen einer idealen Urbanität in den Arbeiten von Gabriele Künne und ihren Bezügen zum Städtebau in den 1960ern vorgestellt werden.

1   Baldesar Castiglione erwähnt lediglich kostbare Ausstattungs- und  Sammlungsgegen- stände wie Essgeschirr, Bücher, Musikinstrumente, Schmuck, Statuetten etc. Il Libro del Cortegiano, dt.: Das Buch vom Hofmann, zit. nach: München 1986, S. 16. Überwiegend geht es in den Ausführungen aber darum, als Höfling in Spiel, Rhetorik und den Künsten, einschließlich der Kriegskunst brillieren zu können.
2 In den 1990er Jahren baute oder plante Martin Kippenberger Eingänge von U-Bahnstationen ohne U-Bahnnetz in Dawson City, Yukon Territory (CAN), 1995  oder auf der Ägäisinsel Syros (GR).
 Vernissage
mehr Bilder
back
next
Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg