Masse und Muster von Julia Knabbe

 

Einführung von Prof. Vincent Kohlbecher (gekürzte Version)

 

Julia Knabbe spielt mit doppeldeutigen Begriffen in ihren Arbeiten. Ihre Arbeitsweise ist experimentell, sie forscht nach Möglichkeiten, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen und Inhalte umzusetzen.

 

Im Sommer 2007 beginnt die Künstlerin mit einer über 3 Jahre andauernden Arbeit, die sie 'Masse' nennt.  Sie ist fasziniert von Veranstaltungen in Fußballstadien, großen Konzerten und Festivals und beginnt zu fotografieren. Dabei entscheidet sie sich für schwarz/weiße Bilder, um mehr abstrahieren zu können. Es geht ihr in ihrer Arbeit um Euphorie und Kontrollverlust des Einzelnen und um die Veränderung des Individuums in der Masse.

 

Bei der Recherche zu diesem Begriff stößt sie auf Elias Canettis Buch Masse und Macht*.

 

Zitat: Der wichtigste Vorgang, der sich innerhalb einer Masse abspielt, ist die Entladung. Vorher besteht die Masse eigentlich nicht, die Entladung macht sie erst wirklich aus. Sie ist der Augenblick, in dem alle, die zu ihr gehšren, ihre Verschiedenheiten loswerden und sich als gleiche fühlen...

 

Daraufhin entsteht ein Buch, in dem Bilder gezeigt werden, die sowohl auf das Individuum eingehen, als auch Bilder, in denen das Individuum in der Masse zurücktritt und Muster entstehen.

 

Julia spürt hier einem Phänomen nach. Sie schreibt dazu:


Unter Muster verstehe ich in diesem Rahmen ein wiederkehrendes Element. Als Masse bezeichne ich eine große Gruppe von Menschen. Was gibt es für Muster in der Masse?

Bei der äußeren Betrachtung fallen einem sofort stark geordnete, aber unüberschaubare Formationen von Menschen ein. Bei einer Betrachtung auf das Innere des Menschen
bezogen sind es Denk-, Handlungs- und Bewegungsmuster, also kollektive Muster
und Muster auf der individuellen Ebene.

 

In dem Stop-Motion-Film Wall of Death montiert Julia Knabbe einzelne Fotografien hintereinander. Zwei Menschengruppen laufen aufeinander zu und prallen zusammen.
Eine einzelne Person steht in aufrechter Position und bewegt sich nicht von der Stelle,
bis sie unter dem Ansturm der Masse verschwindet.

 

Schaut man im Duden zum Begriff Masse nach, so werden zwei Definitionen geliefert.

Zum einen die bereits beschriebene Definition einer großen Menschenansammlung, zum anderen bezeichnet Masse auch einen ungeformten, meist breiigen Stoff.

 

Zucker, der sich in heißem Wasser gelöst hat, entspricht so einem Zustand, der als Masse bezeichnet wird. Julia Knabbe beginnt mit Zucker als Trägermaterial für ihre Bilder zu experimentieren. Sie entwickelt verschiedene Techniken, um den Zucker als Filter für ihre Bilder zu benutzen und ihn als Bilduntergrund einzusetzen. So gelingt es ihr, das Wiederkehrende im Sinne eines Musters in ihren Bildern herauszuarbeiten.

Die 10. Ausstellung im Jahresprogramm  Schalten und Walten des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 
*Elias Canetti: Masse und Macht, Carl Hanser Verlag, München 1969, S. 16ff
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