Die Hand als Repräsentation des Handelns schlechthin, als das primäre Werkzeug, das unsere Vorstellungen und unseren Willen in der materiellen und immateriellen Welt in Erscheinung treten läßt und gleichzeitig das Hinüberziehen und Aneignen der Dinge ermöglicht.

Diese elementare Bedeutung der Hand ist bis heute in zahllosen Begriffen und Rede- wendungen unserer Sprache präsent:

- An erster Stelle steht der Begriff der Handlung, der jedwede Tätigkeit mit der Hand
  im Zusammenhang bringt
- Wir sprechen davon, unser Schicksal liege in Gottes Hand
- wir sind jemandes rechte Hand, wenn wir dessen Willen umsetzen
- uns sind die Hände gebunden, wenn wir nicht handeln können
- wir begreifen oder erfassen Dinge und können mit ihnen gedanklich umgehen,
   wenn wir sie zuvor mit Begriffen belegt haben
- wenn wir über etwas nachdenken, so befassen wir uns damit
- wenn Dinge offenkundig sind, so liegen sie auf der Hand
- wenn wir uneingeschränkt handeln können, so haben wir freie Hand
- wenn wir uns der Aufgaben und Handlungen eines anderen bemächtigen nehmen
   wir sie ihm aus der Hand
- wenn man mit einem Vorgang nichts zu tun haben möchte, so läßt man die Hände
   oder die Finger davon
- wenn man Macht über jemanden hat, so kann man ihn um den Finger wickeln und
   hat ihn es in der Hand
- genauso geht der Begriff Manipulation auf das lateinische manus (Hand) zurück.

Die Hand als Repräsentation des Handelns an sich steht also auch für die bereits erwähnte Macht, auf die Welt einzuwirken und sie umzugestalten.


Durch diese Fähigkeit zur Umformung ermöglicht sie uns, unsere Erfahrungen überzeitlich zu fixieren. Indem wir die Dinge der Welt ordnen und eine künstliche Dingwelt schaffen, fixieren wir unsere Konzepte der Wirklichkeit, denn sowohl die Ordnung des Raums als auch die Gestalt der vom Menschen erschaffenen Dinge sind Ausdrücke einer non-verbalen Kommunikation.

Unsere kulturelle, von Menschenhand erschaffene Umwelt ist somit ein Archiv unserer Vorstellungen von der Ordnung der Welt, die mit unserem Erfahrungskontinuum Feedbacks erzeugt und auf diese Weise Strukturen für die weitere geistig-kulturelle Entwicklung des Menschen liefert. Die vom Menschen erschaffene Lebens- und Dingwelt fungiert also als ein externes kulturelles Archiv, das auf unsere Wahrnehmungs- und Handlungsweisen affirmativ oder inspirierend einwirkt.

Erst die Hand ermöglicht es dem Menschen also, die zeitübergreifende kollektive Kommunikationsstruktur zu erschaffen, die wir als Kultur bezeichnen.

Tatsächlich tritt uns dieser Elementargedanke der Hand als operativer Schnittstelle zur Welt und den von uns geschaffenen Archiven vor allem in der Kunst mit exemplarischer Klarheit entgegen. Wie zu Beginn der menschlichen Kultur erschaffen die Hände der Künstler immer wieder aufs neue Konstellationen, die neben einer materiellen Seite vor allem eine immaterielle Bedeutungsebene bieten, eine neue gedankliche Umwelt im dinglichen Archiv der menschlichen Lebenswelt, die zuvor durch ein metaphorisches, immaterielles hinaus-greifen in die Wirklichkeit inspiriert worden ist.

Eine kleinere, fast schwarze Arbeit Waltraut Kiessners läßt eine dunkle Folge von drei oder vier Händen erahnen, die eine Reihe von bedeutsamen Gesten zu vollführen scheinen, eine Folge unverständlicher Zeichen mit einem uns verborgenen Zweck, fast als vollführten sie eine Choreographie okkulter Manipulationen, die in Verbindung gesetzt werden kann mit dem rituell-magischen Ausgreifen in die immateriellen Aspekte des Seins, um im Sinne des Analogiedenkens auf die Dingwelt einzuwirken - der Archetypus magischer Handlung.


Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Bezirk Wandsbek und VG-Bildkunst, Bonn
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