Bekanntes verschieben
Abgrenzung als Kommunikation
von Johannes Lothar Schröder

Für das Motto des EINSTELLUNGSRAUM gibt es Varianten, von denen Verein für das Vermitteln von Projekten zwischen Autofahrern und Fußgängern mein Favorit ist. Leicht grammatikalisch schräg wird eine erst 100 Jahre alte immer stärker zur Lieblingsbeschäftigung gewordene Tätigkeit mit einer Menschengruppe zusammengebracht, die praktiziert, was den Menschen gegeben ist, nämlich auf zwei Beinen zu laufen. Darin kommt besonders das kulturelle Paradox zum Tragen, dass Menschen mit ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten in Konflikt geraten, wenn diese von etwas Stärkerem in Beschlag genommen werden. An dieser Schnittstelle messen wir uns und die hier vorgestellten Werke, die wir anhand der mit dem Jahresthema konkretisierten Fragestellungen überprüfen. So geschieht es auch in dieser Ausstellung zum Jahresthema „Hybrid“ mit „sprachen, die keiner versteht“ von Juro Grau.
Um das Thema zu diskutieren, möchte ich eingangs folgende Thesen formulieren: Paradox ist der Anspruch, durch Kunst Innovationen durchzusetzen, während in Wirklichkeit doch eher das schon Bekannte bemerkt und bevorzugt wird. Aus der Annahme, Kunst würde Verän- derungen anstreben, ergibt sich dann die Frage: Wie sind denn auf diesem Gebiet Verschiebungen überhaupt möglich?


I. Die Pointe und ihre Voraussetzung
Es ist möglich, dass Künstler Sprachen hervorbringen, die keiner versteht, doch kommt es selten vor; denn solches, würde sie von Kommunikations- und Ausstellungsmöglichkeiten abschneiden, denn Galeristen, Kritiker, Förderer und Käufer erwarten Anknüpfungspunkte. Das gilt im Allge- meinen, doch bringt Verstehen auch immer Missverstehen hervor und Erwartungen, die Künstler nicht grundsätzlich erfüllen möchten und können. Sie machen Schwachstellen in der Welt der Normen aus, die Kommunikation und Diskurse über bestimmte Themen verhindern, aber sie gestalten Bekanntes auch so, dass es uns als Unbekanntes entgegentritt.
Wahrscheinlich ist es anmaßend zu meinen, alles verstehen zu können; denn selbst mit dem größten Bildungshunger, entzieht sich wohl das Meiste unseren Bemühungen zu verstehen. Wer unter uns versteht den Schaltplan seines Fernsehgeräts, wenn einen schon die Gebrauchsan- weisung für eine Fernbedienung, von der man annehmen kann, dass sie eigens für laienhafte Benutzer verfasst bzw. übersetzt worden ist, zur Verzweiflung bringt. Sicher sollte man nicht annehmen, dass alle Hersteller von Geräten große Sorgfalt beim Verfassen von Gebrauchsanleitungen an den Tag legen, doch vielleicht werden Texte aber auch gerade durch zu große Bemühungen um Verständlichkeit unlesbar. 

Mir fällt meine letzte Begegnung mit Allan Kaprow beim Chinesen gleich hier um die Ecke ein, als er mir Folgendes erzählte:
„Vor Jahren hatte ich während eines Projekts die Gelegenheit mit Strafgefangenen in einer Gefängniskantine zu essen. Nachdem die Teller geleert waren, sage jemand ‚21’ und Gelächter ertönte. Ein zweiter sagte ‚36’ und wieder lachten welche. Danach kam die ‚7’, und das Lachen fiel etwas matter aus. Nach einer kurzen Pause sagte einer ‚78’, was den Saal zum Brüllten brachte. Ich versuchte es mal mit ‚14’ und nichts als betrete- nes Schweigen. ‚Was ist los? Warum kommt keine Reaktion?’ fragte ich meinen Betreuer. ‚Du hast die Pointe vermasselt.’ ‚Ach komm? Was soll das? Pointe!?’ ‚Du musst wissen, hier werden Witze erzählt, und dabei kommt es doch wohl auf die Pointe an, oder!?’ ‚Was heißt hier Witze? Sie rufen nur Zahlen aus.’ ‚Also gut, ich will es dir erklären. Die meisten sitzen hier schon jahrelang ein und kennen alle Witze. Außerdem ist die Mittagspause zu kurz, um jedes mal die Witze zu wiederholen. Diese Bedingungen machten die Gefangenen zu Eingeweihten und Spezialisten auf diesem Gebiet. Sie haben jedem Witz eine Nummer gegeben und rufen jetzt nur noch diese aus.’ ‚Ist das nicht langweilig?’ ‚Für sie nicht; denn sie interessieren sich nur noch für die Pointe. Die muss dann mit Witz und Verstand vorgebracht werden, und genau das hast du gerade komplett vermasselt.'"

Diese Geschichte ist eigentlich ein Gleichnis, doch wäre Kaprow nicht Kaprow. Er gilt als der Erfinder des Happenings und war sein Leben lang

Vernissage
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