„Wir sind ... gewohnt, die Maschine als etwas Menschenfeindliches zu betrachten. In Wirklichkeit aber ist sie eine wahre Freundin des Menschen: Sie nimmt ihm Arbeit ab. Des modernen Architekten Sehnsucht ist es tatsächlich Wohnmaschinen herzustellen! Häuser, in denen sich die menschliche Funktion des Wohnens ebenso ökonomisch, zweckmässig, energiesparend, reibungslos, natürlich abwickelt, wie in der Dampflokomotive die technische Funktion der Umsetzung von Wärme in Zugkraft.“

Die verschiedenen Reformbewegungen bis hin zum Bauhaus wollten also die formierende Macht der Architektur nicht nutzen, um den Menschen zu kontrollieren, sondern sollten ihm bei er Entwicklung seiner Menschlichkeit unterstützen und zu einem besseren, freieren Selbst verhelfen. Die Menschen sollten durch eine gute Architektur ihr Potenzial entfalten können, um bessere Menschen zu werden. Der Glaube an die Wirksamkeit der Architektur als Gipfel des Künste und Kulminationspunkt der Interaktion von Mensch und Kultur war so stark, das viele Architekten in ihr tatsächlich den Stein der Weisen sahen, mit dem sie ihre politischen Utopien glaubten verwirklichen zu können.

Die Architekten Ernst und Wilhelm Langloh jedoch scheiterten genau an dieser Auffassung des Verhältnisses von Mensch und Architektur. Suse Itzel hat sich in ihrem aktuellen Werkkomplex, den wir hier im Einstellungsraum sehen, intensiv mit dem Werk und den Biographien der Brüder Langloh auseinandergesetzt.

Das Gravitationszentrum dieses Werkkomplexes ist die ehemalige Mittelschule Lokstedt am Sootbörn, eines der wenigen realisierten Projekte der Brüder Langloh - heute Künstlerhaus, in dem auch Suse Itzel arbeitet. Aus den Hintergründen der Baugeschichte entwickelte sie eine narrative Struktur, deren Stationen, vor allem ein maßstabsgetreues und detailliertes Model des Gebäudes, sie schließlich mit dem Medium Video festgehalten hat.

Ernst und Wilhelm Langloh waren in den 20er Jahren Schüler von Walther Gropius und arbeiteten teils an dessen Entwürfen mit. In ihrem ersten großen und gemeinsamen Projekt, dem Schulbau im Norden Hamburgs, fanden sie für ihre ehrgeizige und idealistische Programmatik ein ideales Betätigungsfeld, denn wo, wenn nicht an einer Schule, in der junge Menschen heranreifen und lernen, sich als soziale und politische Wesen zu entwickeln, kann man besser auf den Menschen einwirken und ihn in diesem Entwicklungsprozess  mit den Mittel manifester non-verbaler Kommunikation unterstützen oder sogar anleiten.
So entstand zwischen 1927 und 1929 ein lichtdurchflutetes Schulgebäude, von den Schülern gerne „Glaskasten“ genannt, das zunächst von der Mittelschule genutzt wurde, später auch von der Oberschule. 1962 war schließlich eine weitere Nutzung als Schulgebäude nicht mehr möglich, da der Fluglärm durch die Erweiterung des Flughafens Fuhlsbüttel unzumutbar wurde.

Doch bereits vor der Umwandlung des Gebäudes in ein Möbellager der Schulbehörde, wurde in den späten 50er Jahren der Rückbau der obersten zwei Stockwerke beschlossen.


Da über die tatsächliche Biographien Wilhelm und Ernst Langlohs sehr wenig bekannt ist und noch viel weniger über ihre individuellen Motive, bediente Suse Itzel sich der literarischen Methode der Invention, die maßgeblich von Horst Bienek und Jurek Becker entwickelt worden ist und die darin besteht, historische Fakten durch gekennzeichnete Mutmaßungen zu ergänzen. So wie Jurek Becker in Jakob der Lügner schreibt: „Ich weiß bloß, wie es ausgegangen ist, ich kenne nur das Resultat, nichts dazwischen, aber ich kann es mir nur so oder ähnlich vorstellen.“

Um die Lücken in den Biographien der Brüder Langloh zu füllen, ließ sie sich unter anderem von dem Roman „Billard um halb zehn“ von Heinrich Böll inspirieren. Darin sprengt ein Mann in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs eine Abtei, die sein eigener Vater erbaut hatte. Dessen Enkel wiederum, ebenfalls Architekt, der den Neuaufbau der Abtei vornehmen soll, entdeckt diesen Zusammenhang und gibt schließlich, gefangen in einem Dilemma aus Loyalität, Schuld, Mittäterschaft und Reue den Architekturberuf auf.

Diesen Komplex aus Bölls Roman, der sich über drei Generationen erstreckt, verdichtet Suse Itzel in ihrer Invention auf eine Generation und läßt den Konflikt zwischen Vätern und Söhnen zu einem inneren Konflikt Ernst Langlohs werden: Der Architekt, dessen zentrales Werk der Schulbau darstellt, wird darin selbst Mitglied des Komitees, das dessen Teilabriss mit beschließt. Und er begrüßt den Rückbau ausdrücklich.

Andere Aspekte der Biographien, vor allem die Genese ihrer baulichen Konzepte, für die es keine Belege gibt, füllt Suse Itzel mit kinetischen Installationen, die in das Video eingefügt sind.
Die 03. Ausstellung im Jahresprogramm DREHMOMENT des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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