Netzwerke aus Papier

Einführungsrede zu einer Ausstellung von Prof. Jürgen Heckmanns zum Jahresthema "Schalten und Walten"
im EINSTELLUNGSRAUM e.V. von Dr. Thomas Piesbergen
Im alltäglichen Sprachgebrauch verstehen wir unter dem Begriff "Schalten" das Starten oder Regeln eines Prozesses oder einer Maschine. Mit "Walten" bezeichnen wir noch allgemeiner das generelle Einwirken auf Strukturen oder Prozesse.

In beiden Fällen verbindet man die Begriffe mit dem Wirken in einer vertikalen Hierarchie. Eine Instanz oder Autorität übt ihre Macht aus, um Dinge nach ihrem Willen in Bewegung zu setzen oder zu gestalten. Diese Form der Machtausübung findet man auch bei der Interaktion Mensch-Maschine. Der Mensch schaltet Maschinen, Lampen oder Computer an, damit sie eine Aufgabe für ihn erfüllen. Die angeschalteten Apparate sind dem Menschen zu Diensten.

Auch die Machthabenden in sozio-politischen Kontexten schalten und walten, im schlimmsten Fall "nach Belieben". Zwischen ihnen und den Menschen, über die sie herrschen, besteht ein dramatisches Ungleichgewicht der Macht. Die sozio-ökonomischen und kulturellen Systeme mit ihren Hierarchien, die sich in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Wirklichkeit etabliert haben, basieren auf diesem Ungleichgewicht. Allein die Tatsache, daß Macht ausgeübt werden kann, bedeutet eine Gliederung der Wirklichkeit in ein hierarchisches Oben und Unten.

Ohne daß wir uns dessen bewußt sind, sind auch unsere Bild- und Objektwelten meist durch analoge hierarchische Strukturen oder Regelsysteme geordnet.
Betrachtet man jedoch die Netze von Jürgen Heckmanns, sucht man diese Regelsysteme vergeblich, die üblicherweise unsere visuelle Umwelt beherrschen. Es gibt kein herrisches Oben, kein duldendes oder tragendes Unten, es gibt keine Diktatur der
Sym-
metrie, es gibt keine Fluchtpunkte oder Achsen zur Orientierung, es gibt keine zwingenden Begrenzungen.

Offenbar scheinen die filigranen, netzartigen Gebilde frei zu sein von herkömmlichen hierarchischen Regelprozessen, die man mit den Begriffen des Schaltens und Waltens in Verbindung bringt.
Was in der Tat fehlt, ist eine einseitige Ausübung von Macht - doch an Regelprozessen fehlt es keinesfalls. Bloß wirken sie auf eine Art und Weise, die zwar natürlich ist, an die wir aber durch unsere soziale und politische Prägung nicht mehr gewöhnt sind. Wir begegnen den Begriffen des Schaltens und Waltens im Gewand der Verschaltung und der Selbstverwaltung.

Um diese Begrifflichkeiten im Bezug auf Heckmanns Installationen besser zu verstehen, müssen wir uns ihrem Entstehungsprozess zuwenden.
Am Anfang des Arbeitsprozesses stehen nur die Elemente "Stege" und "zerknülltes Papier", die von leichter Hand zu einer ersten dreidimensionalen Struktur zusammengefügt werden. In diesem Stadium hat die Gestaltungsabsicht des Künstlers noch die Oberhand. Doch ist die erste "Urzelle" zusammengefügt, löst sich die hierarchische Situation auf und nur das vom Künstler initiierte Prinzip des Wachstums bleibt als gestaltgebende Konstante übrig. Denn nun tritt das Objekt selbst mit dem Künstler in Dialog und legt ihm die Richtung und Form seines eigenen Wachstums nahe. An die Stelle eines diktatorischen Gestaltungswillens, der gezielt eine spezifische, effektvolle Form hervorbringen will, tritt ein Spiel mit dem Zufall. Das geknüllte Papier mit seiner Eigenspannung, die flexiblen Stege, die Schwerkraft und der Künstler sind zu einem System geworden, das sich durch dynamische Rückkoppelung selbst "verschaltet und verwaltet". Auf diese Weise wächst das Netzwerk aus sich selbst heraus.

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Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg  und Bezirk Wandsbek
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