„Flüchten oder
Durchbrechen“ von Johannes Lothar Schröder zu Kimberly Horton 10.04.2008 EINSTELLUNGSRAUM e.V. In
Abwandlung des Jahresthemas und
wortspielerisch hat Kimberly Horten ihre
Ausstellung „Flee or Break“ genannt
und dem Flüchten ein Verb an die Seite
gestellt, das so umfangreiche
Bedeutungen hat wie „zerbrechen“, „kaputt
machen“, „überschreiten“, „aufhören“
oder „abbrechen“, um nur einige zu nennen.
Neben der Flucht haben wir es hier
mit Veränderungen zu tun und einer Haltung,
die dem Konventionellen die
Gefolgschaft verweigert. Es geht daher auch um
Dekonstruktion, bis ein
Durchbruch erreicht ist. In
der per E-mail verschickten
Einladung zur Ausstellungseröffnung gibt es
einen biographischen Hinweis von
Kimberley Horton. Sie hat von einem Schrecken
erzählt, den sie als
Fahranfängerin erlebte, als ihr ein 40 Tonner
entgegenkam, der genau wie sie
links abbiegen wollte. Der Ausstellungstitel
„Flee or Break“ legt folgendes
Geschehen nahe: Man biegt schnell vor dem LKW
ein und macht sich aus dem Staub
oder man wartet bis es kracht. Es
handelt sich um eine alltägliche
Gefahrensituation, bei
deren Bewältigung man in der Regel nicht
mehr über die Einzelheiten nachdenkt.
Tut man es dennoch, bemerkt man, wie
viele Herausforderungen routiniert
bewältigt werden, wodurch Ängste
besänftigt oder verdrängt werden, denn –
um
beim Beispiel zu bleiben – der LKW,
dieses Monstrum, kommt näher und näher,
so
dass die Zeit scheinbar schneller als
gewöhnlich vergeht. Solch
eine Situation
weckt unter Umständen archaische
Verhaltensweisen, denn die Arbeit der
Vernunft
im Neocortex, der äußeren Gehirnrinde
mit ihrer kulturellen Fracht, ist für
viele im Alltag notwendige
Entscheidungen viel zu langsam.
Stattdessen läuft
auf der inneren Gehirnebene, dem
Archicortex ein Überlebensprogramm ab,
das
unmittelbar ohne intellektuelle und
moralische Abwägungen entscheidet. In
diesem Modus reagiert der Körper
reflexartig und sichert das Überleben
durch
Flucht oder Angriff. Das ist grob
vereinfacht der menschliche
Bewußtseinsmodus
beim Autofahren, weshalb wir unter
Abschaltung der äußeren Hirnrinde zu
Wilden
werden. Jadgreflexe und Fluchtinstinkte
bilden dann die Grundlagen unserer
Entscheidungen. (Differenzierteres dazu
etwa unter:
oder zur Funktion des
Gehirns in Stresssituationen: Hans Morschitzky:
Angst als biologisches Geschehen - Neurobiologische
Modelle der Angst- entstehung.
Auszüge unter: http://www.panikattacken.at/angst-biologie/angst-biologie.htm) |
Diesen automatisch
ablaufenden archaischen und vorkulturellen Mechanismus
zu beherrschen, hat viel mit Bremsen zu tun, denn
Bremsen ist die kulturelle Alternative von Flucht –
also: vom Gas gehen ehe es kracht!
Zwischen Film und Standbild Aber was bringen
diese Erörterungen zum Thema Fotografie und Film? Wir
haben es hier mit Künstlerinnen zu tun, deren
Arbeiten zeigen, dass sie ganz spezielle Wege gefunden
haben, mit Bewegungen umzugehen. So führt Kimberly
Horton ihre Arbeit selbst auf das Bremsen zurück, indem
sie einen Bogen zwischen Bremsen und Film und Standfotos
schlägt. Sie sagt: “Braking is in between movies and
stills.“ Ich würde den Satz deshalb folgendermaßen
übersetzen mit:
Bremsen liegt zwischen Filmen und Standbildern. Dieser Satz konfrontiert das Filmen mit den Standbildern, die ein Kondensat der äußerst komplexen und arbeitsteilig organisierten Dreharbeiten sind. Sie werden schließlich in Kinos ausgehängt bzw. den Feuilletons zur Verfügung gestellt, um für Filme zu werben, und uns in die Kinos zu locken. Dort werden wir mit instinktgeleiteten Protagonisten konfrontiert. Sie stellen den Löwenanteil der Filmfiguren, die durch haarscharf kalkulierende Kommissare, Detektive und Bösewichte kontrastiert werden. Die Verkörperungen der rationalen Lebenseinstellung geben uns das Gefühl, das Kontrolle möglich ist, auch wenn wir uns eher zu den Protagonisten hingezogen fühlen, die verliebt sind, töten, fliehen, kämpfen, Beute machen oder „am Rande des Nervenzusammenbruchs“ agieren. Wir finden es so erschütternd wie unterhaltsam, wenn wir überforderte Menschen sehen, über deren Unfähigkeit und Tollpatschigkeit, ihre Abstürze und Missgeschicke wir auch noch lachen können. Es entlastet. Filmen und Fahren Hier ist der Bogen
ziemlich weit gespannt, denn ich hatte ja eingangs auf
die Fahrzeuglenkerinnen und –lenker hingewiesen, die zu
neolitischen Jägern oder zu Gejagten werden, bei denen
die Furcht mit Flucht- oder Beißreflexen durchbricht.
Aus dieser Perspektive gesehen, ist das Kino als
Bewältigungsstrategie zu
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