Umfunktionierung der Transportgehäuse des ÖPNVs zu Räumen akuter sozialer Interaktion: die Partybahn am Freitagabend in Richtung Innenstadt, in der man sich mit absurden Getränken wie Wodka-Redbull in Stimmung brachte und spontane Zufallsbekanntschaften schloß.

Für einen kurzen Zeitraum fügte sich der HVV sogar diesem Phänomen und führte den „Nightcruiser“ ein, eine Nachtbuslinie mit DJs und Bar, die aber schon seit längerer Zeit wieder von der Bildfläche verschwunden ist.

Diese Strategie der Aneignung öffentlichen Raums wurde erfolgreich unterbunden durch das Alkoholverbot in den Bahnen und auf Bahnhöfen.

 

Egal wie man diese Strategien persönlich beurteilen mag, sie sind nicht zu leugnende Symptome des Bedürfnisses, sich der totalitären und inhaltsleeren Struktur der angesprochenen Un-Orte zu widersetzen, sich die Räume wieder anzueignen und sie kulturell bedeutsam zu machen.

Denn selbst die von vielen ungeliebten Musiker treten in der U-Bahn auf, da es immer noch genügend Fahrgäste gibt, die für diese Art der Abwechslung gerne etwas in den herum-gereichten Spendenbecher werfen.

Warum also nicht diese Bedürfnis aufgreifen und zulassen, daß die rein funktionalen Transporthülsen zu kulturell bedeutsamen Orten werden, anstatt sie als rollende Wartezimmer zu belassen, in denen das Fahrgastvieh für den Transport möglichst störungsfrei medial sediert wird?

 

Warum nicht dem gewillten Fahrgast ein Angebot machen, daß ihn davon erlöst, Anstrengungen zu unternehmen, nicht auf das Fahrgastfernsehen zu starren, nicht unfreiwillig den Telephonaten seiner Nachbarn zu lauschen, und nicht aus der akuten Situation, in der er sich befindet auf irgendeine Weise flüchten zu müssen. 

 

Ein Trend, der auf der Hand liegt und in manchen Metro-Bussen bereits aufgegriffen wird, wäre eine Nutzung einzelner Waggons als mobile Lesesäle mit Bibliothek.

 

Genauso naheliegend wäre ein als solcher funktional gestalteter rollender Konzertsaal, in dem Musiker mit vorheriger Anmeldung kleine Konzerte geben können - dem Konzept folgend, das in der Untergrundbahn von London bereits vor vielen Jahren umgesetzt worden ist: dort werden in großen Bahnhöfen kleine Zonen extra als Spielorte für Straßenmusiker ausgewiesen. Denn die Musik wird dort als essentieller Bestandteil des menschlichen Lebens begriffen, nicht als Nötigung.


Ebenfalls denkbar wäre, ein Model, das auf vielen Bahnhöfen bereits realisiert ist, auf die Schiene zu bringen: einzelne Waggons zu mobilen Orten der Stille, der Andacht oder Meditation umzufunktionieren.

 

Und natürlich muß auch die Möglichkeit genannt, die mobilen Un-Orte des ÖPNV als Kunst-Orte zu erschließen, deren Eigenart dazu führen könnte, völlig neue Kunst-“Formate“ zu entwickeln.

 

In einer Zeit der fortschreitenden Anonymisierung und Atomisierung der Gesellschaft, eines rapiden Verfalls von kulturellen Werten und Bedeutungssystemen, sollte nicht nur darüber nachgedacht werden, welche Strategien sinnvoll sind, um sich regelrechte Orte wieder anzueignen - man denke da nur an die weltweiten Aktivitäten der „Occupy“ oder der „Reclaim the Street“ -Bewegung -  sondern auch, wie man die kaum wahrgenommenen öffentlichen Un-Orte sozial und kulturell umdeuten und nutzen könnte, um den Verfall des öffentlichen Lebens, die endgültige Isolation und Entsozialisierung des Individuums, die Zerstörung sozio-kultureller Verhaltenssysteme und die darauf folgende totalitäre Herrschaft der Funktionalität aufzuhalten.

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